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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit
Autoren: Leif Davidsen
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abwärts und führte dann in einer weichen Kurve wieder einige Meter nach oben. Wir standen gleichsam auf einem kleinen Hügel und konnten den Weg übersehen.
    »Ich warte hier«, sagte Schuganow. »Gehen Sie jetzt den Weg ein Stück weiter und verstecken Sie sich hinter einem Baum.
    Das Objekt und die Frau gehen an mir vorbei, und ich kann den Leibwächter aufhalten.«
    »Wird man Sie nicht sehen?« fragte ich ziemlich töricht, und er antwortete auch nicht, sondern zog eine Pistole mit langem Lauf aus der Jacke und bedeutete mir mit einer Kopfbewegung zu gehen. Ich ging den Weg hinauf. An der nächsten Biegung stand ein größerer nackter Laubbaum mit dickem Stamm, hinter dem ich mich verbarg. Ich sah mich nach Schuganow um, aber das einzige, was ich sah, waren Schnee und Birken und Büsche.
    Er schien wie vom Erdboden verschluckt.
    Ich hörte Lola und Oscar, bevor ich sie sah. Sie stritten sich.
    Lolas Deutsch war schnell und fließend. Sie schienen sich um Geld zu streiten. Ich hockte mich hin und lugte hinter dem Stamm hervor. Oscar hatte seinen langen Ledermantel an und die Pelzmütze über die Ohren gezogen. Mir war aufgefallen, daß die Russen sie trugen, ohne die Ohrenschützer herunterzuklappen. Vielleicht sah die Pelzmütze auf Oscars großem Kopf deshalb so lächerlich aus. Lola trug ihren langen Pelz und einen dazu passenden Muff. Sie wirkte sehr elegant.
    Oscar schlug mit seinem Golfeisen in Schneehaufen und gegen Zweige, während er mit Lola diskutierte. Mit einem Golfeisen durch einen russischen Wald zu stapfen, sah völlig aberwitzig aus. Vielleicht war er wahnsinnig geworden.
    Sie passierten die Stelle, an der ich Schuganow vermutete, und kamen mir entgegen. Als sie etwa fünf Meter von mir entfernt waren, tauchte der große Ire auf, und plötzlich schien Schuganow hinter ihm aus dem Schnee zu wachsen, und der Ire erstarrte, als er vermutlich den Pistolenlauf im Rücken spürte und Schuganows leise Warnung vernahm.
    »Ich halte dieses Land hier nicht mehr aus«, rief Oscar. »Ich reiß Gloria den Kopf ab. Was soll ich denn machen, verflucht noch mal. Sie schröpft mich. Ich kann nicht handeln, und wenn du mir nichts anderes als Kleckerbeträge borgen willst, dann
    ∗ ∗ ∗
    »Hab ein bißchen Geduld, Karl Heinrich. Ihr müßt zu einer Einigung gelangen«, sagte Lola. »Darf ich vorschlagen …«
    »Ich hab die Nase voll von deinen beknackten Vorschlägen«, schrie Oscar und ließ den Golfschläger in einen Schneehaufen sausen, daß ihm die Flocken um die Ohren stoben. Lola trat einen Schritt zur Seite und hob die sorgfältig gezupften Brauen in sanfter Empörung über seine kindischen Wutanfälle.
    Ich trat vor und sagte auf englisch: »Es gibt in Rußland nicht viele Golfplätze, Oscar.«
    Er verharrte bewegungslos, als hätte ihn der Frost sekundenschnell zu Eis gefroren. Ich hatte an diese Begegnung gedacht und davon geträumt, und jetzt fühlte ich nichts anderes als Verachtung. Oscar sah schlecht aus. Unter der häßlichen Pelzmütze war sein Gesicht blaß und zerfurcht, und seine Augen schwammen und waren blutunterlaufen. So sahen seine Augen aus, wenn er heftig trank und Amphetamine oder anderes Zeug schluckte. Dann schlief er nicht und wurde streitsüchtig und aggressiv. Ich mußte daran denken, daß er einmal in diesem Zustand Gloria geschlagen hatte und sie ausgezogen war, ich hatte gedacht, für immer, aber sie war zurückgekommen, als er ihr versprach, keinen Stoff mehr anzurühren. Er faßte sich schnell und schaute den Weg zurück, aber da war niemand, dann sah er mich an und wieder den Weg zurück.
    »Dein Freund ist beschäftigt, Oscar«, sagte ich.
    »Fuck you, Lime«, sagte Oscar heiser und zischelnd wie eine Schlange.
    »Peter Lime. Wie nett«, sagte Lola auf dänisch. »Wir haben uns ja seit Jahren nicht mehr gesehen!«
    »Halt die Klappe, Lola!« sagte ich.
    »Immer noch so schlechte Manieren«, sagte sie mit ihrer affektierten Stimme. Ich sah sie an. Das hätte ich nicht tun sollen. Oscar schwang seinen Golfschläger und traf mein ungeschütztes Knie, und ein rasender Schmerz ließ mich aufbrüllen und zusammenknicken. Ich versuchte mich zu schützen, als er mir den Schläger in die Seite hämmerte. Die dicke Jacke verhinderte, daß er mir eine Rippe brach, aber der Schmerz raste mir das ganze Rückgrat hinunter. Er hatte auf meinen Hinterkopf gezielt, aber Lola hatte ihn weggestoßen und damit mein Leben gerettet. Es tat so weh, daß ich die Magensäure im Hals spürte.
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