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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit
Autoren: Leif Davidsen
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Zimmer trat. Er hatte eine Sporttasche dabei. Sie enthielt eine warme Hose, ein warmes Unterhemd, einen Pullover, Socken, einen Skianorak, ein Paar schwere Winterstiefel und ein Paar gefütterte teure Fingerhandschuhe sowie eine blaue Skimütze.
    »Es ist ein kalter Tag«, sagte er. »Und der Schnee kommt schneller, als die Meteorologen erwartet hatten. Ziehen Sie das hier an, dann fahren wir. Ich habe zwei Mann im Feld. Sie benachrichtigen uns, wenn sich das Objekt bewegt. Falls es das nicht tut, müssen wir die Prozedur morgen wiederholen.«
    Die Kleider und die Stiefel paßten. Als wir aus dem Hotel kamen, schien es gar nicht so kalt zu sein. Feuchtigkeit und ein Anflug von Schnee lagen in der Luft. Ein großes Thermometer am Nebengebäude zeigte minus sechs Grad, und die Fahrbahn war ein Morast aus Matsch und Splitt. Die Fußgänger mußten zur Seite springen, wenn die Autos eine Kaskade aus Dreck und Wasser über den Bürgersteig spritzten. Ich hatte auf das Frühstück verzichtet, das aus einer in Plastik verpackten trockenen Semmel mit einer Scheibe Käse bestand, deren Ecken sich nach oben bogen, und einem Päckchen Butter, die vom Alter gelb geworden war. Ich hatte mich mit einer Flasche Mineralwasser und einer Tasse dünnem russischen Instantkaffee begnügt.
    Wir setzten uns in den Fond des schwarzen Mercedes, und Schuganow reichte mir einen großen Plastikbecher mit Kaffee und eine frische Semmel mit Käse. Vorne saß Igor neben einem Igor-Klon, der die gleiche Igelfrisur, die gleiche dicke Lederjacke und den gleichen leeren Gesichtsausdruck hatte.
    Wir verließen Moskau über den großen, breiten Boulevard, den mir Schuganow auf der Karte gezeigt hatte. Der Verkehr war dicht, und die dickverpackten, schwarzbemäntelten Verkehrspolizisten schienen überall zu sein. In ihren dicken Uniformen standen sie fast ungeschlacht inmitten der vielen Fahrspuren und schwangen ihre Knüppel. Ihr Atem hüllte ihre Gesichter wie Nebel ein. Einmal wurden wir an den Rand gewinkt. Schuganow ignorierte den Beamten, der herankam und grüßte. Der Fahrer reichte ihm ein Papier und einen grünen Zettel. Er bekam das Papier zurück, und wir fuhren weiter.
    Ich trank den warmen, süßen Kaffee und fühlte mich ausgezeichnet. Mir war, als müßte ich einen meiner üblichen Aufträge erledigen. Ich hatte jemanden engagiert, um irgendwo auf der Welt einen Prominenten ausfindig zu machen. Ich hatte mich vorbereitet. Die Recherchen und Nachforschungen von Tagen, Wochen oder Monaten würden nun Früchte tragen. Der Betreffende war ahnungslos, daß ich auf dem Weg war, um das Foto zu schießen, das mir einen Haufen Geld einbringen und ihm vielleicht Probleme bereiten und sein Leben verändern würde. Mir war, als hätte ich das alles schon einmal erlebt. Als wäre dies eine Wiederholung. Ich war auf dem Weg zu einem Hit, wie ich es schon so oft gewesen war. Ich war gespannt, aber es war eine positive Spannung, die der Erwartung auf die kommende Jagd entstammte. Ich würde mein Bild machen und den Tatort verlassen und viel Geld aufs Konto bekommen. So war es gewöhnlich. Aber diesmal hatte ich meine Leica oder die Nicon mit dem großen Tele nicht dabei.
    Als wir eine knappe Viertelstunde gefahren waren, steuerte das Auto auf einen großen Triumphbogen zu. Gleich links dahinter sah ich eine riesige Anlage mit Kanonen, einen Obelisken, der in den Himmel ragte, eine kleine Kirche und ein Denkmal, das am anderen Ende der Anlage wie eine große römische Mauer mit Säulen und Bogengängen stand. Es sah sehr sowjetisch aus.
    »Was ist denn das?« fragte ich Schuganow.
    »Zwei Denkmäler. Der Triumphbogen wurde für den ersten Großen Vaterländischen Krieg errichtet. Der Siegeshügel für den zweiten. Im ersten schlugen wir 1812 Napoleon. Im zweiten gewannen wir gegen die Deutschen. Unser Land ist auf Blut und Skeletten erbaut. Wir haben nicht viel, worauf wir stolz sein könnten. Deshalb verehren wir den Krieg. Unsere Siege.
    Besonders unser Sieg über Hitler schweißt uns zusammen. Das einzig Reine, das uns noch bleibt. Das einzig Gemeinsame, Mr. Lime. Der Bruder meines Vaters ist gefallen. Meine Tante verhungerte bei der Belagerung Leningrads. Der Onkel meiner Frau ist auch gefallen, und die Großmutter meiner Frau verhungerte in der Ukraine. Der Großvater meiner Frau verschwand spurlos während einer der großen Säuberungen.
    Rußland und das Leiden sind eins. Zwanzig Millionen Tote im Großen Vaterländischen Krieg. Nicht eine Familie
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