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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit
Autoren: Leif Davidsen
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eigentlich nicht, wie ich mich fühlte. Ich saß lange Zeit mit dem Hörer in der Hand da und blickte aus dem Fenster, ohne etwas zu sehen. Einerseits erschien mir das Leben sinnlos und psychisch so ermüdend, wie mein schmerzender Körper physisch müde war. Andererseits fühlte ich mich erlöst. Mir war nicht klar, wovon, aber das Gespräch mit Clara hatte mir Hoffnung gegeben.
    »Lustige Sprache, Dänisch«, sagte Schuganow.
    Er saß in meiner Suite und hatte einen Wodka in der Hand.
    Der eine Arm war hochgebunden, und auf der Schläfe trug er ein großes Pflaster. Er hatte auch mir einen Arzt besorgt. Mein Knie war schlimm geschwollen. Ansonsten hatte ich nur zwei kleine Erfrierungen im Gesicht, ich war noch billig davongekommen. Ich hatte die richtige Richtung gewählt, und eine Stunde später war ich von Igor eingeholt worden, der das Flußufer absuchte. Trotz des Schneesturms war der ausgebildete Soldat imstande gewesen, die Spuren zu lesen, Oscar und mir zum Fluß zu folgen und dann den abgeknickten Zweigen und kleinen Vertiefungen, die ich im Schnee hinterließ. Schuganow hatte Verstärkung geholt und eine Fahndung in Gang gesetzt, aber er hatte weder die Polizei noch andere Behörden benachrichtigt.
    Schuganow hatte den großen Iren unterschätzt, der ein Schnappmesser am Handgelenk trug. Das Messer hatte sich in Schuganows Oberarm gebohrt, und der Ire hatte ihn mit seiner eigenen Pistole bewußtlos geschlagen. Igor war zu spät gekommen und mit dem anderen in einen Schußwechsel geraten. Igor hatte ihm erst ins Bein geschossen und dann aus nächster Nähe in den Kopf. Lolas russische Bodyguards waren ihr Geld nicht wert gewesen. Sie hatten Leine gezogen, war ja auch besser so.
    »Es war das reinste Massaker«, sagte ich und hob mein Glas.
    »Niemand bedauert das mehr als ich. Es versteht sich von selbst, daß Sie keine Rechnung bekommen«, sagte er. »Ich habe den unverzeihlichen Fehler begangen, einen Gegner zu unterschätzen.«
    »Was ist mit der Polizei?« sagte ich.
    Er rieb den rechten Daumen und Zeige-und Mittelfinger aneinander. Eine universelle Geste.
    »Das ist wahrscheinlich nicht genug«, sagte ich.
    »Das Objekt bekommt die ganze Schuld. In der Villa gab’s Drogen genug, um halb Moskau high zu machen. Er hat die Frau erschlagen. Sie kam für das Gehalt der beiden Iren auf.
    Natürlich versuchten sie, sie zu verteidigen, und wurden bei Ausübung ihrer Pflichten getötet. Das Objekt entschied sich für Selbstmord oder zur Flucht über den Fluß und wurde mitgerissen. Der Fluß ist tief und hat eine starke Strömung. Die Pistole ist weg, der Golfschläger wurde gefunden, über und über mit dem Blut der Frau beschmiert. Das Objekt war neu in Moskau und konnte nicht wissen, daß wir kurz vorher Tauwetter hatten. Das Eis war brüchig. Im Schnitt haben wir in Moskau ein halbes Dutzend Morde täglich. Die Polizei ist überlastet. Sie ist froh, eine Mordsache als aufgeklärt ablegen zu können. Das gibt auch einen Bonus in der Presse.«
    »Und Oscar?«
    »Er wird auftauchen, wenn im März das Eis schmilzt. Dann haben alle den Fall vergessen, und wir begraben ihn in einem anonymen Grab.«
    Ich schwieg. Dann sagte ich: »Könnten Sie dafür sorgen, daß er eingeäschert und die Urne mir zugeschickt wird?«
    Er blickte mich überrascht an.
    »Das erfordert etwas Papierarbeit, aber es ließe sich machen.
    Erlauben Sie, daß ich nach dem Grund frage?«
    »Oscar hatte viele Facetten. Ich kenne eine Frau, die sich, wenn eine gewisse Zeit vergangen ist, gern an ein paar gute Seiten von ihm erinnern würde. Ich glaube, sie hätte in Madrid gern ein Grabmal, zu dem sie gehen könnte. Ich kenne das von mir selber. Ein Grab hilft einem nicht über den Zorn angesichts der Ungerechtigkeit des Todes hinweg, aber es tröstet, weil man mit dem, der nicht mehr ist, streiten oder sprechen kann. Ich glaube, sie hätte das gern, auch wenn ich nicht vorhabe, sie zu fragen. Dann würde sie nein sagen.«
    »Einverstanden. Wenn die Leiche auftaucht, soll es geschehen.
    Ich werde eine Nachricht an die Polizeibezirke am Fluß schicken. Sie kann weit treiben, aber in der Regel taucht sie irgendwann auf. Flußfischer, Selbstmörder … Objekte.
    Betrachten Sie es als Freundschaftsdienst.«
    »Ich danke Ihnen. Und heute abend kann ich abreisen, ohne Ärger bei der Paßkontrolle zu bekommen?«
    »Sie können ganz beruhigt sein.«
    Er hob das Glas.
    »Gute Reise, Mr. Lime«, sagte er und leerte sein Glas.
    Ich trank ebenfalls. Der
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