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Muttersoehnchen

Muttersoehnchen

Titel: Muttersoehnchen
Autoren: Silke Fink
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MENSCHLICHES
EIN MÄNNLEIN SCHREIT IM SAALE ANSPRUCH AUF BEWÄHRUNG

    »Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Der Anspruch auf Erziehung des Sohnes wird zur Bewährung ausgesetzt.«
    Die Luft im Saal ist stickig. Der Ventilator an der Decke verteilt nur die Hitze. Dabei friere ich. Es ist die Atmosphäre, die mich frösteln lässt, eine Atmosphäre absoluter Sachlichkeit, die jede Mutter frösteln ließe. Keine Spur von Anteilnahme. Die wollen mich hier fertigmachen. Nur weil ich das getan habe, was jede Mutter für ihren Sohn tut. Aber die Männer in den roten Roben glauben mir nicht. Weil sie mir nicht glauben wollen. Jedes Wort drehen sie mir im Munde um. Es ist wie ein Albtraum.
    »Bitte setzen Sie sich!«
    Mein Kleid klebt am Körper, ich rieche den Schweiß unter meinen Achseln.
    »Begründung: Der Erste Senat des Bundesfamiliengerichts hat entschieden, dass die Lebensstellung der Mutter nicht im Sinne einer Bestandsgarantie unwandelbar ist. Vielmehr ist schon ihr Erziehungsbedarf durch den Grundsatz der Elternteilung begrenzt, den die Rechtsprechung der Vorinstanzen des Senats für die nachgeburtliche Müttererziehung aufgestellt hat.«
    Jetzt schaut auch mein Anwalt ganz streng. Ich möchte etwas sagen, aber mit einer knappen Handbewegung wehrt er ab: »Pssst!«

    Der Richter spricht mit sonorer Stimme: »Maßgeblich dafür ist, dass der Gesetzgeber den Erziehungsanspruch der Mutter auf ihren Sohn aus Gründen des Kindeswohls dem Anspruch des Vaters darauf nach § 1570 BGB immer mehr bevorzugt hat. Auch der emanzipierten Mutter sollte es möglich sein, sich ganz der Pflege und Erziehung des Sohnes zu widmen, ohne seine Bedürfnisse zu ignorieren oder zu leugnen. Insoweit unterscheidet sich der Erziehungsanspruch nach seiner Zweckrichtung nicht von dem der Tochter.«
    Will mich denn keiner verstehen? Ich fühle mich so einsam wie noch nie in meinem Leben.
    »Allerdings beruht der geschlechtsspezifische Erziehungsansatz zusätzlich auf einer fortwirkenden ehelichen Polarität«, fährt der Richter fort, »und ist deswegen, insbesondere hinsichtlich der Dauer, stärker ausgestaltet. Wenn aber der stärker ausgestaltete Betreuungsansatz stets durch den Halbteilungsgrundsatz begrenzt ist, muss dies erst recht für das Mitspracherecht des Vaters gelten.«
    Von dem Juristendeutsch wird mir ganz schwindelig. Und mir fehlt es an Unrechtsbewusstsein.
    »Die Lebensstellung der Mutter und damit ihr Erziehungsanspruch auf Söhne ist deswegen durch den Halbteilungsgrundsatz begrenzt, wenn der sprechmündige Vater nicht über so hohe männliche Eigenschaften verfügt, dass er dem Einfluss der Mutter ungeschmälert entgegentreten kann . «
    Ich tippe meinen Verteidiger an. »Bin ich jetzt vorbestraft?« Er reagiert nicht, sondern zieht ein Blatt Spielkarten aus dem Jackett und fängt an auszugeben. Die Tür öffnet sich, mehrere Jungen unterschiedlichen Alters fahren mit großem Getöse auf Bobby Cars, Rutscherädern und Spielzeugtreckern durch den Gerichtssaal. Einer steuert einen kleinen Hubschrauber, aus dem Barbies Ken mit dem Fallschirm abspringt. Mein Anwalt steht auf, sucht hastig die Karten zusammen und steigt bei einem der Jungen auf den Traktor. Ich erkenne meinen Sohn, der sein Lieblingskuscheltier dem Vorsitzenden Richter zuwirft.

    »Mama.«
    Da ist noch mal mein Sohn. Diesmal älter, mit gegelten Haaren und der Hose unterm Schritt. Er geht zu Klein-Maiki auf dem Bobby
Car und herzt ihn ab. Ich will zu ihnen. Zwei Vollzugsbeamte mit Schlagstöcken hindern mich. Einer von ihnen ist meine Tochter.

    »Mama!«
    Ich will endlich auch etwas sagen, aber in diesem Gewusel hört mich niemand. Die beiden Beamten schauen routiniert teilnahmslos. Dann klicken die Handschellen.

    »Mama, warum hast Du mich nicht geweckt?«
    Maik steht vor mir, jetzt hellwach, aber noch nicht angezogen. Er ist entrüstet.
    »Ich muss jetzt das Auto nehmen, sonst pack’ ich es nicht mehr.«
    Ich reibe mir erst die Handgelenke, dann die Augen. Das Klicken der Handschellen hallt noch nach und vermischt sich mit seiner Aufregung. Mein Auto? Himmel, es ist zwanzig nach sieben, die Schule liegt einen einzigen Kilometer von unserem Haus entfernt. Traumtaumelig wäge ich zwischen den beiden Möglichkeiten ab, die es immer gibt.
    1. Ich gebe ihm das Auto nicht: Maik eilt knapp geduscht und unter Absingen schmutziger Lieder im Laufschritt zur Schule, wo er fast noch pünktlich ankommt.
    2. Ich gebe ihm das Auto: Maik entspannt sich schlagartig
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