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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe
Autoren: Martin Walser
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Notwenigkeit nach der anderen.
    Ich bitte Sie an Bord, Majestät. NIOBE ist getakelt. Wir stechen in See. Am Wind aus Südwest kommen wir hin, wo
    wir hinwollen. Aber wo wollen wir hin, Königin? Königin
    Anna. Anna‐Königin. Ihr Lager ist bereitet. Gottlieb widmet
    sich den Schoten, dem Ruder, den Tüchern. Wenn der Wind
    einschläft, legt er sich zu Ihnen in die Kajüte. Aber der Wind
    wird nicht einschlafen. Die Lichter blinken. Blinken aber träge. Vorwarnung, mehr ist es nicht. Dabei wird es bleiben.
    Die Wolkenwand in Südwest wird bleiben, wo sie ist, oder gegen Nordwest vorbeiziehen. Und käme es zu einem
    Gewitter, ihm wärʹs recht. Sie werden schon schlafen,
    Königin. Entweder läßt Ihr Kapitän Sie durch mehrspra‐
    chigen Donner wecken oder er weckt Sie selber. Weckt Sie mit der zartesten und zudringlichsten Zunge der Welt.
    Zunge á la Zürn serviert er Dir, Anna‐Königin. Sie läßt sich
    seine Bedienung nirgends so gern gefallen wie auf dem Boot.
    Sanft rauscht das Boot, liegt leicht am Wind, die Königin 37
    grüßt ihren Kapitän und legt sich flach. Noch brennt der Primus‐Kocher, der hervorragende, auf dem der Kapitän ihr
    den Kaffee gekocht hat. Sie braucht Kaffee und Calvados, wenn sie in der Kajüte liegt und ihre Zigaretten raucht. Dein
    Fünfzehner‐Jollenkreuzer liegt schön am Wind, der Wind
    frischt auf, bleib bei den Schoten, Gottlieb, drüben, wo der Bodanrück mit seinen seesüchtigen Tannen Windschatten
    spendet, kannst du, wenn das Wetter harmlos bleibt, die Tü‐
    cher bergen und dich faul sein lassen, in der Kajüte, bei der
    Königin oder oben an Deck, sanft geschaukelt, die Zeit über
    Bord gehen lassen und samt NIOBE in der Ewigkeit
    verschwinden. Dann dieser dumpfe Knall. Du begreifst
    sofort. Das Boot hatte Lage, die Primusflamme erlosch, aber
    das Gas strömte weiter aus, Anna dösend, rauchend, merkt nichts, die Zigarette zündetʹs, Kajütenbrand. Die Blinklichter
    der Sturmwarnung drehen sich doppelt so schnell. Die
    Westwand ist da. Die ersten Böen schürfen Schatten in den See. Die Notwendigkeit übernimmt das Kommando. Am
    Vorluk läßt er den Rolladen herab. Die Kajüte ist ge‐
    schlossen. Anna, im Calvadosschlaf. Gasexplosion. Der
    weiße Mohairpullover brennt. Gottlieb öffnet ein Boden‐
    ventil, flutet das Boot. Er weiß nicht, warum. Fluten, denkt er. Den Brand löschen durch Fluten. Dann aber über die
    Badeleiter ins Wasser und geschwommen. Der Bodanrück ist
    schon näher als das Nordufer. Noch die Schuhe abstreifen.
    Dann ruhige Züge. Nicht zurückschauen. Selbst wenn da
    Rauch aufstiege, in fünfzehn Minuten ist NIOBE verschwun‐
    den. 150 Meter tief hier der See. Sollen sie Professor Piccard
    aus Genf herrufen, soll er den Grund absuchen, sollen sie die
    N I OB E finden in 150 Meter Tiefe, sollen sie sie heben, die 38
    verbrannte Kajüte, die arme Anna, ein Explosionsunglück,
    zu retten ist nichts, schwimm, Gottlieb, schwimm. Und er schwimmt. Nicht einmal eine Schwimmweste hast du dir
    angetan, so schlug die Katastrophe zu. Du hast es nicht gewollt. Ganz und gar nicht. Du bist nicht der, der so etwas
    wollen könnte. Sollen sie die NIOBE suchen, finden, heben.
    Du mußt das verlangen. Professor Piccard hat aus dem Vier‐
    waldstätter See zwei Leichen geborgen, aus 175 Meter Tiefe,
    der wird gerufen. Und die Taucher. Zwei Weitwinkel‐
    Unterwasserkameras, mit einander verbunden, sollen den
    Seegrund ausleuchten und suchen. Sonargeräte her. Die
    neuesten. Die finden die NIOBE, ein Staatsanwalt, der nichts
    zu tun hat, erhebt Anklage. Gottlieb im Gerichtssaal. Im Schwurgerichtssaal. Umdrehen. Ganz schnell. Genau so
    unterm Diktat der Notwendigkeit. Gottlieb krault zurück.
    Gegen die Wellen. Aber die Wellen sind noch keine. Das ist
    nur Gewell. Die NIOBE ist am Sinken. Der Freibord schon zur Hälfte im Wasser. Gottlieb könnte sich an der Seite hochziehen. Dann schwappt das Wasser herüber. Um das
    Kentern zu vermeiden, über die Badeleiter hinauf. Es riecht nach Brand, aber keine Rauchfahne. Er schaut sich um. Keine
    Zeugen. Nur das aufgeregte Geblinke der Sturmwarnung. Er
    reißt den Vorluk‐Rolladen hoch, in der Kajüte hat es
    gebrannt, aber es brennt nicht mehr. Es glustet. Gottlieb holt
    die Pütz, schöpft Wasser, übergießt die ohnmächtige Anna.
    Zerrt sie heraus. Schwer war sie nie. Anna‐Anna‐Anna, ruft
    er, schreit er. Ihr Gesicht ist fast schwarz. Verbrannt. Auf einer Seite. Vielleicht nur eine Schürfung. Er bindet ihr
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