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Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Titel: Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Tina von Lambert war ein Geheimnis verborgen, was der Untersuchungsrichter gesalbadert hatte, war allzu durchsichtig gewesen, ein plumper Versuch etwas abzuschir-men, vor der Öffentlichkeit zu verbergen, aber was, sie wußte es nicht und dann machte sie sich wieder Vorwürfe, daß jemand das Atelier hatte verlassen können, als sie das Porträt mit der Frau im roten Mantel betrachtet hatte, die in ihrer Erinnerung immer mehr ihre eigenen Züge annahm, hatte es sich um einen Mann oder um eine Frau gehandelt, die im Atelier versteckt gewesen war, hatte ihr der Regisseur etwas verschwiegen, wer hatte das Bett benutzt, das hinter dem Vorhang zum Vorschein gekommen war, auch darüber weiter-zuforschen hatte sie unterlassen und so war sie noch wütend über ihre Schlamperei, geschoben von schwitzenden Touristen, in die Altstadt geraten, hatte sie doch auf einmal Mühe zu atmen, derart war der Geruch, der sie umgab, und zwar nicht ein spezieller Geruch, sondern der Geruch aller Gewürze auf einmal, durchzogen vom Geruch von Blut und Exkrementen, von Kaffee, Honig und Schweiß, sie bewegte sich durch dunkle schluchtartige Gassen, immer erhellt von Blitzlichtern, da jederzeit irgendwer der Menschenmenge fotografierte, an 31

    Stapeln von Kupferkesseln und Schalen, Töpfen, Teppichen, Schmuckgegenständen, Radios, Fernsehkisten, Koffern, Fleisch- und Fischständen, Gemüse- und Früchtebergen vorbei, eingehüllt in eine so penetrante Duft- und Gestankswolke, bis sie plötzlich etwas Pelzartiges streifte, sie blieb stehen, neben ihr zwängten sich Menschen vorbei, schoben sich ihr entgegen, Einheimische, nur keine Touristen mehr, wie sie verwirrt feststellte, über ihr hingen an Kleiderbügeln aus Draht billige knallige Frauenröcke in allen Farben um so grotesker, weil niemand solche Röcke trug, und was sie gestreift hatte, war ein roter Pelzmantel, von dem sie auf der Stelle wußte, daß es der Mantel Tina von Lamberts war, der sie wie ein magischer Gegenstand zu sich hergezogen haben mußte, wie ihr schien, weshalb sie geradezu zwanghaft ins Innere des Geschäfts lief, vor dem die Kleider hingen, es war eigentlich mehr eine Höhle, in die sie gelangte und es dauerte lange, bis sie im Dunkeln einen Greis erriet, den sie anredete, der aber nicht reagierte, worauf sie ihn ergriff und an der Hand gewaltsam ins Freie führte, unter seine Frauenröcke, ohngeachtet der sich inzwischen angesammelten Kinder, die F. mit großen Augen anstarrend, die den Pelzmantel vom Bügel, an welchem er hing, heruntergezerrt hatte und, entschlossen ihn zu erstehen, koste er was er wolle, erst jetzt bemerkte, daß sie einem Blinden gegenüberstand, dessen einzige Kleidung ein langes schmutziges einmal weißes Gewand war mit einem großen verkrusteten Blutfleck auf der Brust, halb verdeckt vom schütteren Bart, das Gesicht mit den weißgelben Augen ohne Pupillen unbeweglich, er schien auch nicht zu hören, sie nahm seine Hand, fuhr mit ihr über den Pelz, er antwortete nicht, die Kinder standen da, die Einheimischen blieben stehen, neugierig, was die Stockung bedeute, der Alte sagte immer noch nichts, die F. griff in ihre Tasche, die sie wie immer über ihren Jeansanzug umgehängt trug, in der sich, sorglos wie sie war, ihr Paß, ihr Schmuck, ihre 32

    Utensilien und ihr Geld befanden, drückte dem Blinden Geld-scheine in die Hand, zog sich den Mantel an und ging durch die Menge davon, von einigen Kindern begleitet, die auf sie einredeten, ohne daß sie etwas verstand, dann aus der Altstadt gelangt, sie wußte nicht wie und auch nicht, wo sie war, fand sie ein Taxi, das sie in ihr Hotel führte, in dessen Halle sich ihr Team aufhielt, in den Sesseln herumlungernd, sie anstarrend, die im roten Pelzmantel vor ihnen stand, vom Tonmeister eine Zigarette verlangend und sagte, der rote Pelzmantel, den sie in der Altstadt gefunden habe, sei von Tina von Lambert getragen worden, als diese in die Wüste gegangen sei, so absurd es auch scheine, sie kehre nicht zurück, bis sie die Wahrheit über deren Tod erfahren habe.

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    Ob das vernünftig sei, fragte der Tonmeister, der Assistent grinste verlegen und der Kameramann erhob sich und sagte, er mache den Unsinn nicht mehr mit, kaum hätte sie die F. verlassen, seien Polizisten gekommen und hätten das im Ministerium gedrehte Material beschlagnahmt und als sie hierher gekommen seien hätte der Portier schon den Rückflug gebucht und auf morgen in aller Herrgottsfrühe ein Taxi bestellt, er sei froh, dieses
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