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Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Titel: Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Zellen etwas Weißliches lag oder kauerte, mit einem Lift zum Untersuchungsrichter gelangten, in ein modernes Büro, das behaglich eingerichtet war, mit einem Juristen, einem sanften Schönling mit randloser Brille, die nicht zu ihm paßte, der die F. und ihr Team, nachdem sie in bequemen Sesseln um einen runden Tisch mit Glasplatte Platz genommen, mit allen erdenk-lichen Delikatessen bewirtete, sogar Kaviar und Wodka waren vorhanden, wobei der Untersuchungsrichter, fleißig einem 26

    elsässischen Weißwein zugetan, den ihm ein französischer Kollege zugeschickt habe, dem Kameramann abwinkend, der aufnahmebereit lauerte, weitläufig beteuerte, er sei ein gläubiger Muslim, ja in vielem geradezu ein Fundamentalist, Kho-meini hätte durchaus seine positiven, ja grandiosen Seiten, aber der Prozeß, der zu einer Synthese der Rechtsauffassung des Korans mit dem europäischen juristischen Denken führe, sei in diesem Lande nicht mehr aufzuhalten, zu vergleichen mit der Integration des Aristoteles in die mohammedanische Theologie im Mittelalter, schwafelte er weiter, doch endlich, mit einem ermüdenden Umweg über die Geschichte der spanischen Umayyaden kam er wie zufällig auf den Fall Tina von Lamberts zu sprechen, bedauerte, er verstehe durchaus die Emotio-nen, die der Fall in Europa ausgelöst habe, Europa neige dem Tragischen, die Kultur des Islam dem Fatalistischen zu, wies dann Fotos von der Leiche vor, sagte: na ja, die Schakale, meinte dann, die Leiche sei erst nach der Tat zu den schwarzen Sufi bei der Al-Hakim-Ruine gebracht worden, was, er ent-schuldigte sich, für einen christlichen oder – na ja – Täter spreche, kein Muslim hätte es gewagt, eine Leiche unter die Heiligen zu werfen, die Empörung darüber sei allgemein, legte den gerichtsmedizinischen Befund vor, Vergewaltigung, Tod durch Erwürgen, einen Kampf habe es offenbar keinen gegeben, die der F. vorgeführten Männer seien ausländische Agenten, welche Macht Interesse an der Ermordung gehabt habe, er brauche nicht deutlich zu werden, von Lamberts Weigerung am internationalen Antiterroristenkongreß, arabische Freiheits-kämpfer als Terroristen zu bezeichnen, ein gewisser Geheimdienst habe ein Exempel statuiert, als Täter komme einer der Agenten in Frage, das Land sei voller Spione, natürlich auch sowjetische, tschechische, ostdeutsche vor allem, doch haupt-sächlich amerikanische, französische, englische, westdeutsche, Italiener, warum alle aufzählen, kurz, Abenteurer aller Länder, 27

    der gewisse Geheimdienst, sie wisse ja welchen er meine, arbeite am gerissensten, er dinge andere Agenten, dinge, das sei das Perfide, mit der Ermordung Tina von Lamberts habe er sich einerseits rächen, andererseits die guten Handelsbeziehun-gen seines Landes zur Europäischen Gemeinschaft stören, insbesondere die Ausfuhr solcher Waren erschweren wollen, Produkte, deren Export nach Europa der Hauptsache nach von
    – na ja – getätigt worden sei, und dann, als der Untersuchungsrichter einen Anruf entgegengenommen, starrte er die F. und ihr Team schweigend an, öffnete die Türe, winkte ihnen ihm zu folgen, schritt durch Korridore voran, dann eine Treppe hinunter, wieder Korridore, öffnete mit einem Schlüssel eine Eisentüre, wieder ein Korridor, schmäler als die andern, worauf sie zu einer Wand gelangten, in der sich eine Reihe kleiner Gucklöcher befand, von denen aus sie in einen kahlen Hof hinunter-zublicken vermochten, der offenbar vom Gebäude des Polizeiministeriums umschlossen wurde, doch sahen sie nur glatte, fensterlose Mauern, was dem Hof ein schachtartiges Aussehen gab, in den nun der zwerghafte Skandinavier an aufgereihten Polizisten mit geschulterten Maschinenpistolen, weißen Hel-men und weißen Handschuhen vorbei hereingeführt wurde, in Handschellen, hinter ihm ein Polizeihauptmann mit gezücktem Säbel, der Skandinavier stellte sich an die Betonwand der Polizeireihe gegenüber, der Offizier schritt zu ihr zurück, stellte sich neben die Reihe, hielt den Säbel steil vor sein Gesicht, alles wirkte wie eine Operette, der fette Polizeichef wälzte sich herein, was den Eindruck des Operettenhaften erhöhte, wälzte sich mühsam und schwitzend zum Zwerghaften, Grinsenden, steckte ihm eine Zigarette in den Mund, zündete sie an, wälzte sich wieder aus dem Blickfeld derer, die oben hinter den Gucklöchern standen, die Kamera surrte, irgendwie hatte der Kameramann es fertiggebracht, den Vorgang doch noch zu filmen, unten rauchte der
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