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Der Andere

Der Andere

Titel: Der Andere
Autoren: Brian DeLeeuw
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bespritzte meinen Körper mit dem kalten Wasser und rubbelte die Haut sauber. Nachdem ich mein Bestes getan hatte, stieg ich wieder hinaus und wartete, bis mich die kalte Luft getrocknet hatte. Das Hemd saß perfekt, die Anzughose aber war um die Taille zu weit, und die Polster des Sakkos hingen über den Schulterrand hinunter. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich keine Schuhe gekauft hatte und für den Rest des Tages Lukes schmutzige Turnschuhe tragen musste. Zu allem Überfluss hatte ich in der Eile auch noch die Kreditkarte auf der Ladentheke liegenlassen.
    Ein ganzer Tag lag noch vor mir, bis ich zum Apartment an der Central Park West gehen konnte. Ich hatte keinen Schlüssel und hätte sowieso nicht in den leeren Räumen auf Claire warten wollen wie ein billiger Dieb. Ich wollte, dass sie mich hineinbat. Ich wollte, dass wir uns als Gleichgestellte begegneten. Also streifte ich weiter durch den Park, folgte den Wegen, wo immer sie hinführten. Was ich sah, war überzogen vom Schmier der Erinnerungen. Ich hätte alles noch einmal tun müssen, um mir jeden Ort wirklich zu eigen zu machen. Auf der Ostseite in Höhe der 68 . Straße verließ ich den Park. Es war das New York, das ich am besten kannte. Die Festungen der Fifth Avenue mit ihren Kalksteinfassaden, die schwarzgestrichenen Parkbänke, grüne Markisen, Bronzetürgriffe, die Portiers mit den Messingknöpfen an ihren Anzügen. Seit Generationen waren Haltung und Lebensart fast unverändert weitergegeben worden. Wie die Gebäude selbst, die in regelmäßigen Abständen lediglich etwas aufgefrischt wurden, um sie sauberer, neuer und in größerem Einklang mit der neuen Zeit erscheinen zu lassen. Auch jetzt arbeitete eine Putzkolonne mir gegenüber auf der anderen Straßenseite an der düsteren Fassade eines Apartmenthauses. Sie trugen Gesichtsmasken und waren mit Gurten gesichert, während sie mit den Druckluftgeräten hantierten.
    Gerüste schützten die Fußgänger darunter. Das Druckwasser wurde mit voller Wucht gegen den Kalkstein geschleudert, entfernte den Schmutz der Stadt, der aber zurückkkehren würde, und dann würden wieder diese Männer geholt, um dieselbe Arbeit erneut zu machen. Luxuslimousinen parkten vor den Konsulaten in den Querstraßen, die Flaggen reicher und armer Länder hingen wie festlich geschmückte Leichen herab. Immer noch liefen Menschen hier herum, die vorgaben, dass Geschichte gemacht wurde, aber die Stadt, die ich kannte, war bereits eingewachsen, inzestuös. Sie war befallen.
    Mittags ging ich in den Zoo im Central Park. Die Eintrittskarte kaufte ich von Lukes verbliebenen Bargeldbeständen und sah mir Seelöwen und Schneeaffen an. Ein Eisbär sprang von einem Felsen ins Wasser, schwamm eine Runde, kletterte wieder hinaus, schüttelte sich und tat das Gleiche noch einmal. Der Zoo war kaum besucht. Nur am Pinguin-Haus traf ich eine Gruppe Schulkinder. Sie waren sehr jung, winzige kleine Dinger in ihren Parkas und Mützen. Planlos rannten sie umher, wie alle Kinder es tun, und ich beachtete sie gar nicht, bis ich Luke entdeckte. Er stand da, abseits, in einem marineblauen Mantel und Slippern. Er sah auf ein Grasbüschel hinab, das sich durch einen Riss in der Teerdecke hochgearbeitet hatte. Dann hob er den Kopf und entdeckte mich. Sein kleines Gesicht war sanft, unbekümmert. Neugierig sah er mich an, als wäre ich derjenige, der nicht hierhergehörte. Ich ging auf ihn zu, wusste aber nicht, was ich sagen sollte. Er drehte sich um und ging zu den anderen Kindern. Dann scheuchte der Lehrer alle zusammen ins Pinguin-Haus. Ich folgte der Klasse in das kühle, fischige Innere. Hinter dem Glas glitschten und stolperten die Pinguine auf rutschigen Felsen umher. Ihre gedrungenen Körper waren viel kürzer, als ich sie in Erinnerung hatte, ihre Flügelchen mit hellgelben Gummibändern markiert. Ich neigte mich hinunter, um jedem Kind ins Gesicht zu sehen. Lukes war nicht dabei. Die Lehrerin kam auf mich zu, ihr Mund verzog sich zu einer besorgten, mürrischen Miene. »Halten Sie sich bitte fern«, zischte sie mir hinterher, nachdem ich ihr bereits den Rücken zugewandt hatte. »Mistkerl!«
    Danach brachte ich zwei Stunden in einem Coffee-Shop in der Amsterdam Avenue zu. Ich bestellte einen Hamburger und Fritten, konnte aber nichts essen, sosehr ich es auch versuchte und obwohl ich wusste, dass ich es lernen musste. Unter dem Fleisch sammelte sich Fett, das von dem Brötchen aufgenommen wurde und es rosa färbte. Schuldbewusst lächelte ich
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