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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod
Autoren: A Jonuleit
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reichte. Ich weiß noch, wie ich ihn fast verfehlt hätte und er auf den Boden geglitten wäre,
beinahe
. Dr.   Nassr hat ihn aufgefangen. Diesen Augenblick, ich werde ihn niemals vergessen, als ich das erste Mal nach all der Zeit meine Züge erblickte. Mit einer abrupten Bewegung riss ich den Spiegel Dr.   Nassr aus der Hand und starrte hinein.

Traumschleife
    Mehr als eineinhalb Jahre nach dem großen Feuer verließ ich die Rosenstein Clinic zum ersten Mal. Die Operationen, die sie inzwischen an mir vorgenommen hatten, waren erfolgreich verlaufen. Mein Gewebe brauchte jetzt längere Zeit Ruhe, um auszuheilen, sodass sie zu gegebener Zeit noch einmal würden Hand anlegen können.
    Der Tag, an dem Anouk mich aus dem Krankenhaus abholte, war ein Montag im Oktober. Sie trug ein helles Seidenkleid, die Kette mit dem roten Tropfen und das Armband mit den Korallen, die wie winzige Zähne eines exotischen Fisches ihr Handgelenk umschlossen. Auf dem Kopf hatte sie einen breitkrämpigen, weißen Hut und ich dachte: »Wie schön sie ist.«
    Auf dem Weg zum Parkplatz erzählte sie mir: Sie hatte ein Haus gefunden, ein Haus am Meer. Dorthin sollten wir uns zurückziehen und die Heilung meiner Wunden abwarten, bis es erneut – ein letztes Mal   – Zeit wäre, in die Klinik zu gehen. Sie beschrieb das Haus, einen weiß gestrichenen Strandbungalow, nur sehr einfach ausgestattet, aber mit einer Veranda, die aufs Meer hinaus ging.
    Auf dem Parkplatz steuerte sie auf einen 61er Caddy Convertible zu. Er hatte cremefarbene Ledersitze und vorne eine durchgehende Sitzbank. Ich sah sie an und setztean, um etwas zu sagen. Ich fühlte mich nicht wie jemand, der zu so einem Wagen passte. Doch als ich die kindliche Freude sah, die in ihren Augen funkelte, schwieg ich.
    Wir fuhren auf dem Pacific Coast Highway und es war wie in einem schönen Traum. Die Berge versanken im Meer, grüne Hügel, die jäh zu Fels wurden und ins Meer hineinstürzten. Scharfe, wie von einem wütenden Zyklopen ins Wasser geworfene Gesteinsbrocken, von Gischt umspült. Und der Himmel, der irgendwo hinter der Unendlichkeit den Ozean berührte.
    Anouk hatte den Sommerhut gegen ein rotes Seidentuch eingetauscht. Sie trug eine altmodische Sonnenbrille mit großen Gläsern, die mich an alte Hollywoodfilme erinnerte. Anouk sprach ununterbrochen, gestikulierte, deutete auf die Berge, die Buchten, die Strände. Sie war voller Übermut, riss sich das Tuch vom Kopf, ließ es flattern wie einen roten Wimpel und der Fahrtwind zerrte an ihrem Haar.
    Unterwegs bogen wir vom Highway ab und kauften in einem Superstore so viel ein, dass der Kofferraum und der gesamte Fond des Convertible mit Einkäufen vollgestopft waren. Anouk bestand darauf, bei einem Geschäft für Künstlerbedarf haltzumachen und Farben, Pinsel sowie eine Leinwand zu kaufen. Für mich. »Du musst irgendetwas tun.«
    In einem Bookstore kaufte sie einen ganzen Stapel Bücher, denn wir hatten unsere täglichen Lesestunden beibehalten, auch, als meine Arme schon längst genesen waren und ich selbst ein Buch hätte halten können.
     
    Als wir vom Pacific Coast Highway abbogen und das Sträßchen zum Haus hinabfuhren, verband Anouk mir die Augen mit ihrem roten Tuch. Einige Minuten später wurdeder Duft des Meeres stärker. Ich hörte, wie sie langsamer fuhr und schließlich den Motor abstellte.
    Jetzt drang das Rauschen der Brandung an meine Ohren. Ich spürte Anouks Finger an meinem Hinterkopf. Sie löste das Tuch und ich sah unser Paradies: das graue Strandhaus und die kleine Bucht. Der Zauber dieses Ortes raubte mir den Atem.
     
    Unser Haus in Garrapata Beach war klein und aus Holz. Es hatte ein noch kleineres Nebengebäude, das einmal ein Atelier gewesen sein musste. Die Farbe begann besonders an der dem Meer zugewandten Seite abzublättern. Es lag am Ende einer beschaulichen Bucht, von der aus man über einen steilen und gewundenen Pfad zu einem großen, endlosen Strand gelangte.
    Anouk hatte Monate gesucht. Und als sie das Haus zum ersten Mal sah, wusste sie gleich, dass sie dieses – und nur dieses – wollte. Sie fand heraus, dass es einem schrulligen Alten aus Santa Monica gehörte, der jedoch auf keinen Fall vermieten wollte. Anouk ließ nicht locker. Sie rief ihn an, fuhr sogar zweimal zu ihm hinaus und irgendwann, als sie schon drauf und dran war, ein anderes zu nehmen, meldete er sich unverhofft und sagte, wir könnten das Haus haben.
    Der Bungalow bestand aus einer großen Wohnküche und einem
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