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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod
Autoren: A Jonuleit
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fast ebenso großen Schlafzimmer. Außerdem gab es ein winziges Bad mit Dusche. Die Einrichtungsgegenstände waren alt und abgewohnt, verfügten aber über einen besonderen Charme, den ich mir nicht so recht erklären konnte.
    Die Verandamöbel waren aus grauem, verwittertem Rattangeflecht, eine brüchige Korbschaukel hing von der Decke, das Bett schien selbst zusammengezimmert. In derKüche stand ein runder Tisch mit ebenfalls zwei Rattanstühlen. Außerdem enthielt dieser Raum einen Kamin, davor stand ein Sofa mit einem verblichenen Rosenüberwurf.
    Es war perfekt.
    Ein überschaubares Reich, das wenig Pflege bedurfte, denn Anouk hatte angekündigt, dass sie keine Putzfrau wünschte und alles allein machen wollte. Ich fragte nicht nach dem Grund, wusste aber instinktiv, dass sie mir zuliebe auf eine Hilfe verzichtete. Sie wollte mir neugierige und mitleidige Blicke auf mein geschundenes Gesicht ersparen.
     
    Mit der Zeit prägte sich das Muster unserer Tage und Nächte. An den Vormittagen malte ich, die Nachmittage verbrachte ich zusammen mit Anouk und meine Nächte waren traumbebildert.
    Ich fühlte mich gut, obgleich die Bilder, die ich zu malen begann, von einem eher verstörten Innenleben sprachen. Das konnte ich auch ohne psychologische Ausbildung erkennen. Meine Werke ähnelten so gar nicht den freundlichen und naiven Landschaften, die ich in der Klinik unter Julies Führung zu Papier gebracht hatte.
    Als Anouk das erste meiner Gemälde erblickte, wurde sie blass und stumm. Es war das schwarze Gesicht eines Mannes, der in einem Meer von Rot versank. Ich selbst war weder erschrocken noch bestürzt, nahm ich dies doch zum Zeichen, dass ich endlich begann, den Brand und alles, was zuvor geschehen war, zurück in mein Bewusstsein zu holen.
    Für mich war es der Beginn eines langen Weges, der mich in Richtung Heilung führen sollte. Mir leuchtete ein, dass ich vor allem das Geschehen selbst verarbeiten musste und erst danach durch den Spiegel würde treten können.Dahinter wollte ich
mich
wiederfinden. Möglichst unverstümmelt. Mit lückenloser Erinnerung. Sofern das menschenmöglich war.
    Doch auf das erste folgte ein weiteres Bild, eines, das mich sehr wohl ängstigte, an dem ich aber – ganz objektiv und im freundlichen Tageslicht betrachtet – nichts Erschreckendes finden konnte. Ich hatte die Leinwand in zwei Hälften geteilt, aus der linken Seite wuchs ein Baum mit gelben Äpfeln, aus der rechten einer, der pralle rote Früchte trug. Beide Bäume schlängelten sich durch ein Fenster, dessen Rahmen goldene Ranken und eine türkisfarbene Borte zierten. In meinen Träumen hatte die Szenerie etwas Hebräisches, Alttestamentarisches. Ein Engel und ein Satan wirbelten darin durcheinander, in einem frenetischen Tanz, und aus irgendeinem Grund ließen mich die Bäume nicht an Adam und Eva, sondern an Kain und Abel denken. An einen blutigen Stein.
    Jedes Mal beim Erwachen pochte mein Herz und noch im Halbschlaf tastete ich im Geiste das Bild ab. Ich hoffte, dass da eine Antwort wäre, irgendwo in mir, zum Greifen nah. Die Bäume trugen üppige Früchte, die verführerisch glänzten. Sie schimmerten, waren sinnlich, das Wasser lief mir im Mund zusammen. Ich biss hinein in halb festes, halb weiches Fleisch. Der Saft lief mir an den Mundwinkeln herunter, ich schmeckte die Süße bis tief in meinen Körper hinein, sie ging in mir auf, erfüllte mich ganz und betörte mich.
    Und dann – mit einem Mal – war es, als hätte ich in etwas Wabbeliges gebissen, in etwas Glibberiges, das ich nicht identifizieren konnte.
    Ich begann, die halb zerbissenen Apfelstücke auszuspeien. Ich spuckte und spuckte, konnte nicht aufhören, auch nicht, als längst nur noch Galle aus meinem Mund quoll.Denn der Geschmack, der meinen Gaumen und meine Zunge durchdrang, war plötzlich rostig und zäh. Und fühlte sich an wie Blut.
     
    Einmal erwachte ich mitten in der Nacht. Anouk lag neben mir, sie atmete tief und regelmäßig und der Schein des Mondes fiel auf ihren Schlaf. Ich sah sie, doch gleichzeitig hatte ich noch das Bild meines Traums – die beiden Apfelbäume – vor Augen. An jenem Tag hatte ich das Bild dazu fertiggestellt und noch nicht mit einem neuen begonnen.
    Plötzlich rannte ich ins Atelier, von einem unerklärlichen Zwang gepackt. Ich nahm eine Flasche mit Acrylfarbe, schraubte sie auf und bespritzte das fertige Bild mit Rot.
    Irgendwann hielt ich inne und starrte auf das Ergebnis. Der Anblick war mir auf sonderbare
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