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Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition)
Autoren: Jan Peter Bremer
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den Gast einfach wegzulassen, aber was bliebe dann von der Geschichte, und war es nicht in Wahrheit viel eher so, dass er den gänzlich falschen Beruf ergriffen hatte? Hatten heute nicht wieder einige Menschen auf der Straße so merkwürdig zu ihm hingesehen, mit einem ebenso belustigten wie bemitleidenden Blick, ganz so, als sähe man es ihm an, dass er derjenige ist, der auf Gedeih und Verderb mit dem ungebetenen Gast am Schreibtisch sitzt und dort auch noch in Jahren sitzen wird. Die Kinder wären längst groß, aber er würde sie gar nicht mehr erkennen, weil er noch immer blind auf diesen Menschen starrt, den es nicht gibt.
    Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Das darf doch alles nicht wahr sein. Man muss auch loslassen können, schoss es ihm in den Kopf, und sogleich bemächtigte sich seiner ein Krampf. Er griff sich an den Bauch und schüttelte den Kopf. Nein, dachte er, indem er langsam ausatmete, er würde nicht loslassen. Lieber würde er, entschlossen wie ein Kapitän, mitsamt der Wohnung und dem ungebetenen Gast untergehen. Eine Wand nach der anderen würde schon bald neben ihm in die Tiefe stürzen, aber er würde immer noch mit spinnenartigen Bewegungen von einem Balken zum nächsten klettern. Mit tränenüberströmten Gesichtern blickten seine Frau und seine Kinder von der fernen Straße zu ihm hinauf und flehten, er solle doch endlich zu ihnen hinabsteigen, aber er würde den Blick nur gen Himmel richten und nicht auf sie hören. Auf ihn hörte doch auch niemand mehr. Der Hund verschluderte seinen Ball im Park, seine Frau kam immer später von der Arbeit, und wenn er, zum wiederholten Male, die Kinder bat, sie möchten, wenn sie etwas brauchten, einzeln in die Küche gehen, sie wüssten doch, in welchem Zustand der Boden sich dort befinde, dann nickten sie zwar, bevor sie sich rennend von ihm entfernten, aber nur, um gleich darauf, mit gemeinsamer Energie, derart zwischen Herd und Spüle zu stampfen, als seien ihre Füße mit Blei umgossen.
    Er ließ den Kopf noch tiefer sinken. Es hörte niemand mehr auf ihn, bald würde auch niemand ihn mehr erblicken und schon jetzt wollte niemand ihn mehr hier haben. Auch seine Frau und seine Kinder wollte man hier nicht mehr haben und ebenso wenig die reizenden Nachbarn, die schon so alt und gebrechlich waren. Irgendwann würde die ganze Straße von mächtiger Hand angehoben und wie ein Teppich ausgeschlagen werden, und nur der ungebetene Gast würde irgendwo im Verborgenen triumphieren.
    Er beugte sich ein Stückchen unter dem Tisch vor und sah müde zum hellen Fenster hin. Nicht er spürte dem ungebetenen Gast nach, sondern der ungebetene Gast spürte ihm nach. Natürlich, dachte er und zog den Kopf wieder zurück, der amerikanische Investor, das war der ungebetene Gast, ein riesiger Koloss, dem man nicht entrinnen konnte und der schon jetzt Nacht für Nacht vor dem Haus entlangschlich und mit scheelen Augen in alle Fenster blickte. In einem unerwarteten Moment, bestimmt wenn sie gerade andächtig, wie zum Gebet versammelt, am spärlich gedeckten Abendbrottisch saßen, ein Block des Guten, würde plötzlich das Glas splittern und einen nach dem anderen würde die riesige Hand des amerikanischen Investors packen. Ihn würde er sofort zerquetschen und auf die Straße werfen, seiner Frau aber würde er, bevor er sie fraß, noch mit den Fingernägeln das Kleid vom Leib reißen, und erst bei den Kindern würde er innehalten und in einem Anflug von Großmut würde er sie zu einem Bauern in den nahen, dunklen Wald bringen, bei dem sie, wie Sklaven gehalten, im Schweinestall aufwüchsen. Später aber würden sie mit einem selbst geschmiedeten Schwert in die Stadt zurückkehren und sein Sohn würde seiner Schwester die Räuberleiter halten und so würden sie auf den riesigen Leib des amerikanischen Investors steigen, der, den Hut in der Stirn und schläfrig in der Sonne, gerade seine müden Hacken am Grund der Spree kühlte, und gleich einer Fontäne würde das Blut noch Jahre später aus der tödlichen Wunde an seiner Kehle sprudeln und seine Tochter würde eine Göttin werden, die Göttin der Väter und Mütter, der Armen und Reichen, die Göttin der Tiere und der Sterne, der Kinder und der Greise, und sein Sohn würde tanzend und singend ihre Gesetze verkünden: Keine Helmpflicht mehr für Mofafahrer, aber auch keine Mofas mehr, auch keine Straßen und Häuser, nur noch Wiesen und Wolken und helle Träume, ein ewiges trunkenes Fest ohne Gestern und Morgen.
    Er
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