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Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition)
Autoren: Jan Peter Bremer
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noch nie von einem realen Beispiel gehört. Was wiederum die Drohung mit der Bauaufsicht betreffe, davon würde er tunlichst abraten. Wer drohe, sagte er, müsse auch ins Auge fassen, eine Tat folgen zu lassen. Was aber wäre das Szenario, wenn die Bauaufsicht tatsächlich käme? Natürlich würde die Bauaufsicht die Wohnung sofort sperren. Das sei schließlich ihre Aufgabe. Für sie aber hieße das nur, dass sie auf der Stelle ausziehen müssten, zum Beispiel in eine Pension, um sich von dort nach einer neuen Wohnung umzusehen. Die Kosten für das alles würden sie vorstrecken müssen, um dann, vielleicht erst Jahre später, auf einem Vergleich mit der Hausverwaltung bestehen zu können. Es auf dieses Verfahren ankommen zu lassen, fügte er nach einer kleinen Pause hinzu, das würde er sich genau überlegen. Dann streckte er plötzlich seinen Arm über die Tischplatte, reichte ihm die Hand und sagte: »Ich hoffe, ich habe Ihnen weiterhelfen können.«
    Wenn das erste Gespräch bei der Mieterberatung ihn in eine schwunghafte Erregung versetzt hatte, so hatte dieses zweite Gespräch ihn doch sehr ernüchtert, und noch am Abend, als er schleppend seiner Frau davon berichtete, fühlte er die Verzagtheit, die ihn gleich darauf erfasst hatte.
    Mit müden und lustlosen Schritten war er nach Hause zurückgekehrt und hatte den ganzen Tag apathisch im Sessel gesessen. Die Kinder stritten vor ihm, wer zuerst das Wort führen dürfe, um ihm irgendwelche Begebenheiten aus der Schule zu erzählen, aber weder blickte er zu ihnen auf, noch hörte er auf das, was sie sagten. Würden sie die Wohnung wirklich räumen müssen? Sie konnten sich doch derzeit in dieser Gegend gar keine andere Wohnung leisten. Oder doch irgendwo ins Souterrain? Die Kinder dünn und blass und immer hüstelnd, die Frau verhärmt am rostigen Herd und er mit geröteten Augen vor einem von der Feuchte bereits vermoderten Blatt, von dem er den Kopf nur hob, wenn die Schritte der Schönen und Reichen zu ihm hinabhallten, die vor seinem Fenster ihre neuesten Erfolge in perlenbesetzte Handys brüllten und selbst dann nicht zu ihm hinuntersahen, wenn er ihnen, ein unverfrorenes Lächeln auf den blutleeren Lippen, mit seiner billigen Taschenlampe in den Schritt leuchtete.
    Erst als die Kinder an ihm zupften, quälte er sich mühsam aus dem Sessel, und als er jetzt in der Küche stand, um ihnen ein paar Marmeladenbrote zu schmieren, hielt er immer wieder inne, sah zum Fenster hinaus, dann zur Spüle, dann wieder auf das Messer in seiner Hand, zum kleinen Kaktus auf dem Regal, wieder auf seine Hand, zur Lampe an der Decke und ihm war, als würden all diese Blicke von einer lautlosen und deshalb nur umso traurigeren Melodie untermalt, und vor Wehmut sank er, das Marmeladenglas in der Hand, auf die Fliesen nieder. Wie sehr man doch seine Küche lieben konnte!
    Auch als er jetzt an seinem Schreibtisch saß und in seinem leeren Kopf nach dem verschollenen Satz suchte, beschlich ihn wieder diese Wehmut. Sie war inzwischen allgegenwärtig. Ob er einem Nachbarn begegnete oder im Treppenhaus mit der Hand über das Geländer strich, ob er einen Blick in die Kinderzimmer warf oder sich im Wohnzimmer ein Buch aus dem Regal nahm. Doch warum? Vierzehn Mal, hatte er vor ein paar Tagen ausgerechnet, war er in dieser Stadt bereits umgezogen, und jedes Mal hatte er sich darüber geärgert, was für einen Mist er mit sich herumschleppte. Ein altes Bettgestell, ein Tisch auf Böcken, ein vom Küchenfett verklebtes Radio, ein verbogener Wäscheständer, all diese Dinge, die in einer Wohnung ein unauffälliges, mehr oder weniger sinnvolles Dasein haben, sie alle verloren spätestens im Treppenhaus wenn nicht ihre Berechtigung, dann doch zumindest ihre Würde, wirkten plötzlich schäbig und hoffnungslos abgewirtschaftet, und ebenso hoffnungslos und freudlos blickte er schon jetzt auf sein Notizbuch hinab.
    Wie war er nur auf die Idee gekommen, in diesem Zustand überhaupt arbeiten zu wollen? Ein auf den Boden geworfener, an die Wand gepresster Mensch, der von seinem Ausblick schwärmen möchte. Wenn er wenigstens den winzigen Satz, nach dem er suchte, aufschreiben könnte. Doch wie sollte er ihn finden, hier, in dieser Leere, die ihm bösartig aus seinem Notizbuch entgegenschlug? Und warum kam ihm nicht einmal in den Sinn, sich zu überlisten? Er hatte diese Erfahrung doch schon tausendmal gemacht. Lustig aufspringen und die Fenster putzen! Sich vor dem Glas bewähren und ein kleines
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