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Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition)
Autoren: Jan Peter Bremer
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Zimmer lagen im Seitenflügel. Von diesem Seitenflügel führte ein Aufgang in den Hof hinab, den sie aber nur benutzten, wenn sie im Winter die Kohlen aus dem Keller hinaufbrachten oder, was seltener vorkam, schwere Einkäufe direkt in die Küche transportierten.
    Ursprünglich waren alle Wohnungen des Vorderhauses mit diesem Seitenflügel verbunden gewesen. Irgendwann jedoch, vermutlich nach dem Krieg, waren in den anderen Wohnungen die einzelnen Teile separiert worden, so dass sie jetzt die einzigen Mieter im Vorderhaus waren, die zusätzlich noch den Seitenflügel bewohnten.
    Schon als sie vor fünf Jahren in das Haus eingezogen waren, hatte die kleine Wohnung, die unter ihrem Seitenflügel lag, leer gestanden. Die alte Hausverwaltung hatte auch nie eine Anstrengung unternommen, diese Wohnung wieder zu vermieten. Vor etwa zehn Monaten aber hatte ihr Haus den Eigentümer gewechselt. Aus einer »Mitteilung an die Mieter«, die sie in ihrem Briefkasten vorfanden, hatten sie erfahren, dass ein amerikanischer Investor den gesamten Gebäudekomplex aufgekauft hatte. Zu diesem Gebäudekomplex zählten, außer dem Haus, in dem sie wohnten, noch zwei angrenzende Vorderhäuser und eine vielfache Anzahl von Hof- und Gewerbegebäuden. Bald darauf wurde eine neue Hausverwaltung eingesetzt und seitdem wuselten im ganzen Areal Handwerker herum. Auch aus der kleinen, unter ihrem Seitenflügel gelegenen Wohnung drang eines Morgens ein energisches Hämmern in ihre Küche. Ein alter Teppich und ein verkrusteter Herd wurden hinuntergebracht und dafür neue Türen und Fenster hinauf. Doch ebenso plötzlich, wie die Arbeiten begonnen hatten, hatten sie auch wieder geendet, und als er ein paar Tage später zu der Wohnung hinabstieg, da erstaunte ihn nicht allein, dass sie sperrangelweit offen stand und dort, wo vorher Wände den Raum teilten, jetzt rostige Rohre im nur noch vereinzelten Mauerwerk freistanden, sondern auch, dass die Böden aufgestemmt waren und von der Decke das Stroh bis in die Mitte der Räume herabhing. Was ihn jedoch am meisten erstaunte, war, dass inmitten dieses Chaos wie achtlos fallen gelassen und bereits völlig verstaubt die neuen Türen und Fenster herumlagen. Noch am gleichen Tag trat er an einen der Handwerker heran, der jetzt mit etwas anderem im Hof beschäftigt war, und fragte ihn, wann und wie die Arbeiten in der Wohnung fortgesetzt würden. Der Handwerker sah ihn für einen Moment verständnislos an. Dann sagte er, dass er diese Wohnung, solange ihm sein Genick lieb sei, nicht wieder betreten werde. So verrottet seien die Balken, fuhr er fort und bog seine Finger zur Kralle, mit den bloßen Händen könnte man sie ausgraben. Es sei ein regelrechtes Wunder, dass er sich morgens noch als gesunden Menschen im Spiegel betrachten dürfe.
    Kurze Zeit später taten sich dann die ersten Risse in den Wänden ihrer Küche auf, sank die Badewanne zu einer Seite hinab, konnte man ein Spielzeugauto, ohne seinem Antrieb nachzuhelfen, über den Boden von einer Wand zur anderen rollen lassen. Wie plötzlich betrunken schien das Gebäude seinen Halt verloren zu haben.
    Dass von der Absenkung der Böden tatsächlich eine gewisse Gefahr ausgehe, bestätigte der Statiker aber nicht nur ihnen, sondern auch dem Bauleiter, der bei dem Besuch in ihrer Wohnung ebenfalls zugegen war und dem Statiker wiederum versicherte, keine der Wände, die sie aus der unteren Wohnung geschlagen hätten, sei eine tragende gewesen. Das sei doch ganz egal, hatte der Statiker ihm entschieden geantwortet. In einem so alten und seit Jahrzehnten nicht mehr gewarteten Gemäuer, fuhr er in etwa fort, gibt es keine tragenden und nicht tragenden Wände, sondern es stützt sich irgendwann alles auf jedes. Dann müsse er jetzt wohl mit der Hausverwaltung sprechen, hatte der Bauleiter darauf gesagt, und mit einem kräftigen Händedruck verabschiedeten sich die Herren.
    Wenige Tage später meldete sich bei ihnen per Telefon eine Dame von der Hausverwaltung und kündigte ihren Besuch an.
    Kaum eingetreten, sagte sie, dass der Statiker die Lage doch recht übertrieben habe und dass die Befürchtung, sie könnten plötzlich abstürzen, abwegig sei. Außerdem würde die Hausverwaltung jetzt noch einen tragenden Balken in die untere Wohnung stellen, der die Decke zusätzlich abstützen würde. Von daher bestehe dann also keine Gefahr mehr. Trotzdem sei das auf die Dauer natürlich kein ganz wünschenswerter Zustand, nur müssten sie natürlich auch Verständnis
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