Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition)
Autoren: Jan Peter Bremer
Vom Netzwerk:
Erfolgserlebnis einheimsen. Wahrscheinlich würde er schon nach der zweiten Scheibe den Lappen von sich werfen, nach dem Stift greifen und Seite um Seite in seinem Notizbuch füllen. Die Kinder würde er gar nicht hören, wenn sie aus der Schule nach Hause kämen, und spät am Abend würde er seine Frau mit seiner guten Laune überraschen und gleich zwei Korken hintereinander aus einer Flasche ziehen.
    Er wandte den Kopf zur Seite. Es lohnte sich doch gar nicht mehr, in dieser Wohnung die Fenster zu putzen. Es lohnte sich ja nicht einmal mehr, einen Erinnerungszettel an die Wand zu hängen, geschweige denn ein Bild. Vielleicht lohnte es sich noch, das Bett zu machen. Aber lohnte es sich überhaupt noch, aufzustehen? Die Kinder packten ihre Ranzen eigenständig, und wenn etwas fehlte, regte sich niemand auf, am wenigsten die Kinder selbst. Die Kinder störte es auch nicht, dass die Wohnung immer mehr verkam, und dass er sich diesem Zustand immer mehr anglich, störte sie ebenfalls nicht. »Mach mal wieder einen Witz, Papa«, hatte seine Tochter vor ein paar Tagen zu ihm gesagt und ihn eine Weile in freudiger Erwartung angestarrt. Dann hatte sie sich wieder abgewandt.
    Mit der Hand strich er über sein Notizbuch. Ließen sich in dieser Wohnung überhaupt noch Witze erzählen? Setzte ein Witz nicht einen stolzen Menschen mit einem festen Standpunkt voraus, und wann hatte er eigentlich zuletzt gelächelt? Kannten die Kinder sein Lächeln noch oder riefen sie es sich bereits in ihren Zimmern von alten Fotos heimlich in Erinnerung? »Guck mal, das ist Papa!« Warum unternahm er nicht einmal mehr den Versuch, sich aufzumuntern? Warum stieg er nicht die Treppen hinab und aß unten auf der Straße eine Kugel Eis? Vielleicht würde er sogar, von dem Eis beschwingt, mit dem Eisverkäufer eine kleine Plauderei beginnen. Erzählen Sie mal. Was ist eigentlich mit Ihrem Gewerbevertrag? Ist der verlängert worden oder suchen Sie bereits nach einem neuen Ort für Ihr kleines Geschäft? Bei uns zum Beispiel lohnt es sich schon jetzt nicht mehr, die Fenster zu putzen. Seit Wochen haben weder meine Frau noch ich die Böden gewischt. Die Kinder bringen keine Freunde mehr mit ins Haus. Freiwillig verabschieden sie sich früh ins Bett, und während ich noch auf meiner Wange ihrem Gutenachtkuss nachspüre, denke ich schon wieder an den nächsten Tag. An mein Zimmer denke ich. An den Satz, den ich dort niemals finden werde, und den Ball, den der blöde Hund verschludert hat.
    Mit einer abrupten Bewegung rückte er mit seinem Stuhl vom Tisch, glitt hinab, beugte sich unter dem Tisch über den Hund und ließ seinen Kopf, die Wange voran, auf die Stirn des Hundes sinken. »Wir beide«, flüsterte er in das Ohr des Tieres, das sich unwillig zur Seite bog, »wir haben doch auch ein wenig Erbarmen verdient«, und da er noch der belegten Zärtlichkeit seiner Stimme nachlauschte, zog der Hund seinen Kopf unter seiner Wange hervor, schüttelte ihn und erhob sich. Unschlüssig stand er für einen Moment neben ihm unter dem Tisch. Dann schleppte er sich davon, und während er den trägen Bewegungen des Hundes hinterhersah, der sich jetzt, ein paar Meter entfernt, wie von Schwäche übermannt hart auf den Boden fallen ließ, sah er auf einmal den seit Jahren pensionierten Hausmeister vor sich, dem er, kaum aus der Tür getreten, auch heute Morgen wieder in die Arme gelaufen war. Wie heute Morgen, winkte ihn auch jetzt die Hand des Hausmeisters wieder zu sich heran. »Wie nennt man einen Bumerang, der nicht zurückkommt?«, und während er jetzt, unter dem Tisch, wie schon heute Morgen, noch teilnahmslos mit den Schultern zuckte, brach die Antwort über ihn herein. »Stock!«, rief die scharfe Stimme des Hausmeisters und dann hatte er ihm einen schönen Tag gewünscht.
    Er richtete den Blick zur Tischplatte hinauf. Das war es! Das war der Satz, den er sich unbedingt aufschreiben wollte. Ein Witz war es! Bis weit in den Park hinein hatte er ihn beschäftigt. Zwanghaft hatte er ihn immer wieder vor sich hin murmeln müssen, und jedes Mal war er wieder wie ein Dolch in ihn hineingefahren.
    Er senkte den Blick, sah zum Hund hin und dann auf seine Hände hinab. Es stimmte. Der Witz beschrieb nicht nur deutlich, sondern überdeutlich seine Arbeitssituation. Alles, was er derzeit am Schreibtisch vollbrachte, war, Stöcke in die Luft zu werfen. Seit Wochen schon war kein einziger Satz zu ihm zurückgekehrt. Völlig planlos und tot lagen sie in der Landschaft
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher