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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt
Autoren: Amy Waldman
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wäre; beides ergäbe eine faszinierende Story, die sich gut verkaufen ließ. Ungeschickt tippte er auf dem Mobiltelefon herum, das vor ihm auf dem Tisch lag. »Bringen Sie uns bitte die Unterlagen zu Bewerbung 4879«, sagte er ins Telefon, die Zahlen langsam und deutlich aussprechend, um jedes Missverständnis auszuschließen. »Vier acht sieben neun«, wiederholte er und wartete, bis die Zahlen am anderen Ende der Leitung ebenfalls wiederholt wurden.
    Ein paar Minuten später erschien der Assistent der Jury, das Gesicht im Bewusstsein seiner eigenen Wichtigkeit gerötet. Seine langen Finger hielten einen schmalen Umschlag im DIN - A 4-Format, versiegelt, wie das Protokoll es verlangte. »Ich sterbe vor Spannung«, hauchte Lanny, als er Paul, der nicht darauf reagierte, den Umschlag überreichte. Nummer und Strichcode auf dem Umschlag entsprachen denen des Gartens, das Siegel war unversehrt. Paul sorgte dafür, dass sowohl die Juroren als auch die Protokollantin beides registrierten, und wartete, bis der Assistent den Raum widerstrebend verlassen hatte.
    Sobald die Tür geschlossen war, ergriff Paul den silbernen Brieföffner, den der junge Mann ihm ebenfalls ausgehändigt hatte – er hatte unleugbar ein Gespür für Details –, und schlitzte den Umschlag auf, wobei er darauf achtete (wieder der Geist der Geschichte), ihn nicht zu zerfetzen. Seine Vorsicht erinnerte ihn irgendwie an Jacob, seinen ältesten Sohn, der sich auf einem Kindergeburtstag fast obsessiv bemüht hatte, beim Öffnen der Geschenke das Papier nicht zu beschädigen. Schon damals hatte Jacob nicht verstanden, wo die wahren Werte lagen. Ein ungeduldiger Paul hatte ihn aufgefordert, sich gefälligst zu beeilen.
    Beeil dich gefälligst. Genau das besagte die Stille im Raum, in dem die Juroren anscheinend im Gleichklang atmeten. Wohl wissend, dass zwölf Augenpaare auf ihn gerichtet waren, zog Paul das Blatt Papier aus dem Umschlag. Die Identität des Gewinners vor der Jury zu kennen, vor dem Bürgermeister oder der Gouverneurin, sogar vor dem Präsidenten, hätte ihm ein kleiner, aber befriedigender Beweis seiner eigenen Bedeutung sein sollen. Welch besseres Maß konnte es dafür geben, wie weit Paul Joseph Rubin, Enkel eines russisch-jüdischen Bauern, es gebracht hatte? Aber als er den Namen las, empfand er keinerlei Befriedigung. Vielmehr verkrampften sich seine Wangenmuskeln so, dass sie schmerzten.
    Damit hatte nun wirklich keiner von ihnen gerechnet.

2
    D as Formblatt mit dem Namen des Gewinners wurde wie ein kostbares altes Schriftstück von Hand zu Hand gereicht. Ein paar der Juroren hielten hörbar die Luft an, es gab das ein oder andere »Hmmm«, ein »Interessant« und ein »Ach du meine Güte!« Dann: »Was für eine gottverdammte Scheiße ist das denn? Es ist ein Muslim!« Das Papier war beim Vertreter der Gouverneurin angekommen.
    Paul seufzte. Es war nicht Bob Wilners Schuld, dass sie sich in dieser Situation befanden, falls es sich denn tatsächlich um eine Situation handelte, aber Paul verübelte ihm, dass er sie zwang, der Tatsache ins Gesicht zu sehen, dass es möglicherweise so war. Bis zu Wilners Ausbruch hatte niemand ausgesprochen, was dort schwarz auf weiß geschrieben stand, als würde erst das Aussprechen das Problem, vielleicht sogar die Person selbst, real werden lassen.
    »Ms Costello«, wandte sich Paul mit fast träumerischer Stimme und ohne ihr in die Augen zu sehen an die Protokollantin. »Die letzte Bemerkung streichen Sie bitte. Wir möchten keine Kraftausdrücke in unserem Protokoll haben.« Er wusste selbst, dass das lächerlich war: Welches New Yorker Gremium störte sich schon an Kraftausdrücken? Welche Protokollantin hätte sich auch nur die Mühe gemacht, sie mitzuschreiben? »Und könnten sie uns vielleicht kurz allein lassen? Nehmen Sie sich doch noch etwas Nachtisch.«
    »Ach, übrigens, Ms Costello«, rief er ihr nach, als sie zur Tür ging. »Würden Sie bitte dafür sorgen, dass niemand draußen vor der Tür herumlungert? Und Sie denken ja daran, dass wir uns alle zu Stillschweigen verpflichtet haben.« Sein Ton war freundlich, aber ihr Rücken verriet, wie gekränkt sie über diese letzte Bemerkung war.
    Die Tür fiel hinter ihr zu. Paul wartete ein paar Sekunden. Dann sagte er: »Das Wichtigste ist jetzt, Ruhe zu bewahren.«
    »Was zum Teufel sollen wir denn jetzt bloß machen?«
    »Wir wissen nicht das Geringste über ihn, Bob.«
    »Ist er überhaupt Amerikaner?«
    »Ist er. Hier steht es.
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