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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt
Autoren: Amy Waldman
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sein.« Der Stellvertreter der Gouverneurin sah sich so kämpferisch um, als hätten die anderen am Tisch ihn aufgefordert, es bleiben zu lassen. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn noch will, wenn er mit dem Namen Mohammad verknüpft ist, egal wer der Mann ist. Sie werden das Gefühl haben, gewonnen zu haben. Die ganze muslimische Welt wird vor Freude über unsere Dummheit, unsere idiotische Toleranz, an die Decke springen.«
    »Toleranz ist nicht idiotisch«, sagte Claire schulmeisterlich. »Vorurteile sind es.«
    Ihr Gesicht war gerötet. Sicher fand sie das alles furchtbar. In Pauls Kopf hämmerte es: die Nachwirkungen des Weins, die Vorankündigung eines Sturms.
    »Hört zu, ich will ja gar nicht so tun, als sei das hier keine Überraschung«, fuhr sie fort. »Aber – aber – es wird eine Botschaft aussenden, eine positive Botschaft, nämlich die, dass Namen in Amerika keine Rolle spielen – und wir haben ja praktisch nicht mehr als einen Namen. Dass ein Name, egal wie er lautet, kein Hindernis ist, an einer derartigen Ausschreibung teilzunehmen, oder sie zu gewinnen.« Sie zwirbelte ihre Serviette zusammen, als wollte sie sie auswringen.
    »Ja, natürlich«, sagte Maria. »Und jeder Amerikaner hat das Recht, kreativ zu sein – es ist sozusagen unser Geburtsrecht. Wir alle hier verstehen das. Wir sind New Yorker! Aber wird der Rest des Landes es verstehen, wo es viel engstirniger zugeht? Ich kann ein Lied davon singen, ich bin dort aufgewachsen.«
    »Vielleicht reden wir an der Sache vorbei,« schlängelte sich Arianas Stimme durch das Stimmengewirr. Mehrere Köpfe nickten, obwohl niemand wusste, was die Künstlerin sagen wollte. »Es wäre absolut undenkbar, ihm den Sieg vorzuenthalten, wenn er gewonnen hat. Stellt euch vor, Maya hätte den Auftrag für das Vietnam Veterans Memorial nicht bekommen.« Claire sah erleichtert aus – Ariana hatte sich positiv geäußert. Aber Ariana war noch nicht fertig. »Ich möchte jedoch betonen, dass die Umstände dieses Mal dramatisch anders sind. Es war absurd, einen Zusammenhang zwischen Mayas chinesischer Abstammung und Vietnam als einem asiatischen Krieg herzustellen. Ein Verwirrspiel, in Szene gesetzt von Heuchlern, denen ihr Entwurf nicht gefiel. Aber wenn dieser Mohammad wirklich muslimischen Glaubens ist, ist das eine viel heiklere Angelegenheit. Und solange wir nicht mehr über ihn wissen – also, na ja, ich bin mir einfach nicht sicher, ob sein Entwurf überzeugend genug ist, um diese Art von Gegenreaktion auszuhalten. Der von Maya war es. Aber in unserem Fall frage ich mich, ob wir unsere Entscheidung nicht doch noch einmal überdenken sollten.«
    »Einen Moment mal –«, sagte Claire.
    »Sie hat recht«, schnitt Violet ihr das Wort ab. »Genau genommen hat dieser – dieser Mohammad den Wettbewerb noch nicht gewonnen. Ich meine, es gibt eingebaute Sicherheitsvorkehrungen, richtig? Gegen Kriminelle. Oder Terroristen.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass er ein Terrorist ist?«
    »Nein, nein, ich will gar nichts sagen. Gar nichts. Ich sage nur, dass wir ihn die Gedenkstätte nicht bauen lassen würden, wenn er einer wäre, oder?«
    »Genauso wenig wie wir Charles Manson lassen würden, wenn er sich vom Gefängnis aus beworben hätte«, sagte der Kritiker.
    »Das hier ist doch nicht mit Charles Manson zu vergleichen.«
    »Für manche vielleicht schon«, sagte der Historiker. »Für mich natürlich nicht. Aber für manche.«
    »Die Statuten besagen, dass die Jury das Recht hat, einen anderen Finalisten auszuwählen, wenn der Gewinner als ›ungeeignet‹ erachtet wird«, sagte Paul. Er selbst hatte darauf bestanden, diese Klausel sicherheitshalber einzufügen. Seiner Meinung nach war die Gedenkstätte viel zu wichtig für eine anonyme Ausschreibung, insbesondere eine, die allen und jedem offenstand. Er persönlich hätte es vorgezogen, Entwürfe von anerkannten Künstlern und Architekten einzuholen. Alle großen Monumente und Mahnmale der Geschichte – angefangen bei der Sixtinischen Kapelle bis hin zum Gateway Arch in St. Louis – waren Eliteaufträge gewesen. Man hatte sie, um es mit Edmund Burkes treffender Formulierung auszudrücken, nicht »wohlmeinenden, aber unerfahrenen Enthusiasten« überlassen. Nur in Amerika hatten diese Enthusiasten das Sagen, aufs Rednerpult gehievt von Politikern, die nichts mehr fürchteten, als für undemokratisch gehalten zu werden. Jedenfalls hatte man sich über Pauls Einwände hinweggesetzt und sich für eine
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