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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt
Autoren: Amy Waldman
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und ihm zu erklären, dass dieser Tod sie dazu getrieben hatte, hervorragende Leistungen anzustreben, aber es hatte ihn nicht interessiert. Und dann hatte er sich irgendwann so weit zusammengerissen, dass er an einer Kunstakademie angenommen wurde.
    Als er zu ihr kam und ihr sagte, dass er und seine Freundin Molly einen Dokumentarfilm über die Ausschreibung für die Gedenkstätte drehen wollten, versuchte sie, ihm den Plan auszureden. Aber nicht so energisch, wie sie gekonnt hätte.
    Die Kamera nimmt dem Auge die Freiheit, macht den Zuschauer zur Geisel ihrer eigenen Sichtweise. Im Film, das sah Claire jetzt, konzentrierte sich die Kamera zuerst ausschließlich auf Khan und auf Details des Gartens. Dann aber schwenkte sie von ihm weg, bewegte sich langsam über die Innenseite der Mauern, und als sie das tat, hörte Claire ein eigenartiges, archaisches Geräusch. Es dauerte einen Moment, bis sie erkannte, dass sie selbst es von sich gegeben hatte. Über die Mauern, dort, wo die Namen hätten stehen sollen, flossen arabische Schriftzeichen.
    »Die Namen«, flüsterte sie. »Wo sind sie? Was ist das da?«
    »Ein Auszug aus dem Koran«, sagte William.
    Das Zimmer um Claire herum verschwamm. Was sie sah, war kein Geschenk, sondern eine Verhöhnung. Sie hatte zu Recht an Khan gezweifelt.
    »Ich habe dir ja gleich gesagt, dass dieser Film ein Fehler ist«, sagte sie.
    »Es war ein Auftrag«, versuchte William, sie zu beschwichtigen. »Ich denke nicht, dass er eine Wahl hatte.«
    »Und wir wissen nicht, wessen Idee es war«, fügte Molly hinzu. »Seine oder die des Emirs.«
    »Er muss zumindest einverstanden gewesen sein«, sagte Claire. »Er war zu unabhängig – zu unbeugsam –, als dass es anders gewesen sein könnte. Nach allem, was ich von ihm weiß, würde er für einen Kunden genauso wenig etwas tun, woran er nicht selbst glaubt, wie er es bei den Familien getan hat.«
    Der Film hielt an. Sie saßen schweigend beieinander.
    »Wir wissen nicht, was da steht«, sagte Molly unvermittelt. »Da drin zu sein – es war, als sei man verzaubert. Ich habe nicht einmal daran gedacht, etwas zu fragen, ich wollte die Stimmung nicht ruinieren. Er sagte, es sei der Koran, und ich sagte nur, okay. Aber welche Suren? Wie genau lautet die Botschaft, die da geschrieben steht? Wir werden jemanden suchen, der uns den Text übersetzen kann.«
    Der Bildschirm erwachte wieder zu Leben. Ein paar Augenblicke später – oder war es viel länger – fragte Mollys Stimme aus dem Off: »Was würden Sie Claire Burwell über den Garten sagen? Offensichtlich ist es derselbe Garten, aber doch anders. Ich meine, wegen der Namen.« Nicht nur wegen der Namen, dachte Claire. Die stählernen Bäume stehen auf dem Kopf. Das konnte der Emir nicht gewollt haben. Es war eine Botschaft.
    Khan ging inzwischen zurück zum Ausgang des Gartens. Er sah nicht in die Kamera. Als er sprach, konnte sie sein Gesicht nicht sehen.
    »Nutzen Sie Ihre Fantasie«, sagte er. Claire hörte die Worte, schloss die Augen, versuchte, den Namen ihres Mannes zu sehen. Aber die arabische Schrift wand sich um sie herum wie Stacheldraht.
    Nutzen Sie Ihre Fantasie!
    Das hatte sie getan, und das Schlimmste angenommen. Als sie die Augen wieder öffnete, war Khan verschwunden. Nur der Garten war noch da, absolut leer. Die Kamera, oder die Hand, die sie hielt, die Hand ihres Sohnes, zitterte. Wie sonst sollte sie sich erklären, dass das Bild vor ihr wie lebendig pulsierte?
    »Mom?«, hörte sie William fragen. »Mom – bist du noch bei uns? Ich möchte dir noch etwas zeigen.«
    Auf dem Bildschirm waren, in Großaufnahme, ein paar kleine Steine zu sehen, die in einer Ecke des Gartens übereinander geschichtet waren.
    »Mehr konnte ich nicht tun«, sagte William. »Ich hatte nicht viel Zeit.«
    Er wartete auf ihre Reaktion. Ein mickriges Häufchen Steine? Sie sah nicht, was er sie sehen lassen wollte.
    »Die Steinmännchen, Mom. Erinnerst du dich?«
    Der Tag kam zu ihr zurück, die Schattierung jedes einzelnen Steins, die Form jedes einzelnen Steinhäufchens, das sie aufgeschichtet hatten, damit Cal den Weg zurück finden konnte, während sie selbst ihren eigenen aus den Augen verlor.
    Ihr Sohn hatte Khans Garten seine Handschrift aufgedrückt. Mit ein paar Steinen hatte er einen Namen geschrieben.

Danksagung
    Vielen Dank an:
    Bill Clegg und Courtney Hodell
    die American Academy in Berlin, Ledig House International Writers Residency, Radcliffe Institute for Advanced Study und
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