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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt
Autoren: Amy Waldman
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erwartete endlich auch Anerkennung für seine Weigerung zu akzeptieren, dass die Anschläge Amerikas Misstrauen gegen seine muslimische Bevölkerung oder staatliche Überreaktionen gerechtfertigt hatten. Heute waren die meisten Amerikaner seiner Meinung, aber damals hatte er mehr oder weniger allein gestanden. Es war verdammt hart gewesen.
    Mehr als sein Ego stand auf dem Spiel. Die amerikanischen Muslime waren zwar immer noch nicht unbedingt bei allen beliebt, wurden aber inzwischen weitestgehend akzeptiert. Man misstraute ihnen nicht mehr, ihre Rechte wurden nicht mehr in Frage gestellt. Mo wollte diese Annäherung auch durch die Architektur ausdrücken, hielt sie ansonsten für unvollständig. Es gab kein einziges Mohammad-Khan-Gebäude in den Vereinigten Staaten, und er sehnte sich danach, nicht nur seinen Namen, sondern auch seinen Stil dort anerkannt zu sehen. Er wollte Gebäude errichten, die ebenso frei Anleihen bei der islamischen Architektur machten, wie andere sich an die Griechen oder an mittelalterliche Kathedralen anlehnten. Aber seine eigene Halsstarrigkeit stand ihm dabei im Weg, hielt ihn von dem fern, was er sich am meisten wünschte.
    Als die Ausstellung in New York eröffnet wurde, packte ihn das Bedauern derart stark, dass er sich in seinem Bett in Mumbai zusammenkrümmte. Seitdem hatte er unablässig nach einem anderen Weg zurück gesucht. Er hatte sich nie wieder öffentlich über die Kontroverse rund um die Gedenkstätte geäußert, hatte kaum einmal im privaten Umfeld darüber gesprochen. Es jetzt zu tun, würde vielleicht das Gespräch, die Entschuldigung bringen, die er sich wünschte. Tja, hier war er, spielte ein weiteres Spiel mit seinem Land, unterzog es einem weiteren Test. Er konnte nicht anders.
    Molly kam sofort zur Sache. »Würden Sie uns ein bisschen in der Wohnung herumführen, damit wir sehen können, ob wir irgendetwas aufnehmen wollen, und um die beste Stelle für das Interview zu finden?«
    »Ich denke, dass Sie alles, was Sie brauchen, gleich hier finden.« Er deutete auf das Wohnzimmer. »Am besten ist das Licht auf dieser Seite –«
    »Überlassen Sie das ruhig mir«, sagte der Kameramann, dessen Namen Mo schon wieder vergessen hatte.
    »Nicht schlecht, die Wohnung«, kam es von Molly. Mo erzählte ihr nicht, dass er sie selbst entworfen hatte, dass er das ganze Gebäude entworfen und das oberste Stockwerk für sich behalten hatte. Die Wohnung war schlicht, spärlich möbliert, natürlich gekühlt durch Schatten und Luftzirkulation. Ein Balkon lief um die ganze Wohnung herum, ein Überhang schützte die Kunstwerke und Artefakte drinnen vor der Nachmittagssonne. Filigrane Verblendungen vor den Fenstern zeichneten komplizierte Muster aus Licht und Schatten auf den Fußboden. Der Teppich unter ihren nackten Füßen war so weich, dass man ihn am liebsten gestreichelt hätte. Sein Muster war mit dem Alter verblasst – einem beachtlichen Alter, das seinen Preis hatte –, aber immer noch zu erkennen: ein Lebensbaum, Zypressen, Blumen. Ein Garten.
    »Vorsicht!«, rief Mo. Wie ein aufgeregter Labrador hätte der Kameramann fast einen Folioband über persische Miniaturen umgeworfen, der auf einem Ständer ausgestellt war. Die tolpatschige Ungeschicklichkeit des jungen Mannes ärgerte Mo und machte ihn gleichzeitig fast krank vor Heimweh. Der Kameramann besaß die eigenartigen, noch nicht voll ausgebildeten Eigenschaften seines Alters, seiner Klasse, seines Landes. Er wirkte nervös. Seine Nervosität übertrug sich auf Mo.
    Beim Tee erzählte Molly ihm, wen sie bereits interviewt beziehungsweise bei wem sie es zumindest versucht hatte. Vizepräsidentin Bitman hatte auf wiederholte Anfragen nicht reagiert. Lou Sarge war an einer Medikamentenüberdosis gestorben, bevor sie mit ihm sprechen konnte. Sean Gallagher – »der Kopftuchabreißer« – war bisher nicht aufzufinden gewesen. Nach Aussage seiner nicht gerade sehr gesprächigen Mutter tauchte er in unregelmäßigen Abständen auf, um zu sehen, wie es seiner Familie ging, und verschwand dann wieder.
    Paul Rubin war vor einigen Jahren an einem Herzanfall gestorben, aber sie hatte mit seiner Frau gesprochen. Wollte Mo das Interview sehen? erkundigte sich Molly. Sie hatten einiges an Filmmaterial dabei.
    Sie loggte sich in Mos WL an ein. Das Bild einer weißhaarigen Frau mit wachen Augen erblühte auf dem Flachbildschirm an der Wand. Weit über achtzig, perfekt frisiert und gekleidet: Perlenkette, helles, minzgrünes
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