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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt
Autoren: Amy Waldman
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sie den Satz vorher geübt, hinzugefügt: »Der Garten Eden, das Paradies – die schönsten Gärten existieren alle nur in der Fantasie.«
    Seine Beteiligung an der Ausschreibung und ihre Folgen, die damals so monumental geschienen hatten, waren nur ein kleines Steinchen im Mosaik seines Lebens gewesen. Aus der Katastrophe – aus seinem Scheitern – hatte sich sein wahrer Weg ergeben, seine Berufung, als sei es so beabsichtigt gewesen. Obwohl er immer noch unsicher war, ob Gott überhaupt existierte, zählte er das als Gottes Willen. Oder vielleicht hatte er auf diese Weise auch nur einen unbehaglichen Frieden mit den Geschehnissen geschlossen.
    Er sah von der Kamera weg, ließ den Blick auf einer aus dem sechzehnten Jahrhundert stammenden Keramikschale aus Iznik ruhen. Das Kunstvolle exquisiter Gegenstände wie dieser Schale – und seine Wohnung war voll davon – drückte seinen Glauben inzwischen mehr aus als jedes Ritual oder jeder Text, einschließlich des islamischen Textes. Vor all diesen vielen Jahren war ihm Gotteslästerei vorgeworfen worden, und er hatte herausgefunden, dass er in die Welt des Profanen gehörte. Er betete kaum. Monate konnten vergehen, ohne dass er das Bedürfnis empfand. Seine Unsicherheit hatte all die Jahre angehalten und versperrte ihm an den meisten Tagen den Weg zum Glauben. Nur ganz selten schien es ihm, als sei sie selbst sein Glaube.
    Und doch waren diese von ihm so geliebten Gegenstände Widerspiegelungen des Glaubens, dazu gedacht, göttlichen Prinzipien sichtbaren Ausdruck zu verleihen und das Unsichtbare anklingen zu lassen. Wenn er sie betrachtete, oder auch die komplexe Geometrie, die er in Computeralgorithmen fand, spürte er manchmal, dass er sich am Rand von etwas Gewaltigem, Ehrfurchtgebietendem, Unendlichem befand. Dann verschwand das Gefühl wieder. Er wusste nicht, ob die Hersteller dieser Objekte nur die Aufträge ihrer Kunden ausgeführt oder ihren Weg zu Gott gefunden hatten, oder ob sie mit ihren Händen gesehen hatten, mit ihrem Geist. Er stellte sich dieselbe Frage über sich selbst. Falls er je seinen Weg zum Glauben finden sollte, dann nicht durch Fasten, auch nicht durch Gebete, sondern durch seine Arbeit. Bis dahin diente das, was er erschuf, dem Glauben anderer.
    »Wenn Sie heute zurückblicken«, fragte Molly, »gibt es da etwas, was Sie anders gemacht hätten?«
    Sein Blick blieb auf die Schale gerichtet, ihre wundervoll schimmernde grüne Glasur. Seine Brust verkrampfte sich. Im Lauf der Jahre hatte er sich diese Frage Hunderte von Malen selbst gestellt und nie eine befriedigende Antwort darauf gefunden.
    »Ich hätte mich nicht an der Ausschreibung beteiligt«, teilte er der Kamera mit. »Das war mein Urfehler – vielleicht meine Ursünde.«
    Gegen seinen Willen klang er verbittert. Ich bin verbittert, dachte er und presste die Lippen aufeinander, um zu verhindern, dass er die Worte laut aussprach.
    »Alle bedauern etwas«, sagte Molly elliptisch, und als könne sie seine Gedanken lesen, fügte sie hinzu: »Wem geben Sie die Schuld?«
    »Es ist nicht so, als hätte ich all die Jahre irgendeine Liste von Feinden gepflegt«, sagte Mo, obwohl er genau das getan hatte. Die offensichtlichsten Kandidaten waren Debbie Dawson und Lou Sarge, Gouverneurin Bitman, dieser Kopftuchabreißer, diese Reporterin, inzwischen eine Internetberühmtheit, die Mo in unregelmäßigen Abständen anmailte – »Wollte mich nur mal wieder melden. Irgendwas Neues? Alyssa Spier« –, als seien sie alte Freunde oder Arbeitskollegen.
    Schmerzlicher waren die, von denen er erwartet hatte, dass sie auf seiner Seite stehen würden oder die es anfangs getan hatten. Malik und der MACC . Rubin. Claire Burwell. Selbst nach all den Jahren war sie für ihn immer noch eine Enttäuschung, eine Provokation, ein Rätsel. Dass sie sich gegen ihn gewandt hatte, besaß eine Art Logik. Er konnte die Schritte, die sie dorthin geführt hatten, seine eigenen eingeschlossen, nachvollziehen. Er hatte ihre Unterstützung für selbstverständlich gehalten, hatte zu viel von ihr erwartet. Trotzdem war ihm immer noch unbegreiflich, dass sie sich gegen den von ihr so geliebten Garten ausgesprochen hatte, obwohl sich nichts daran geändert hatte.
    »Claire Burwell«, sagte er, überrascht darüber, dass Molly sie noch nicht selbst ins Spiel gebracht hatte. »Was ist aus ihr geworden?«
    Sie trug ein seidenes Kopftuch in irgendeiner Schattierung von Meerblau. Eine halbe Sekunde lang glaubte Mo,
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