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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau
Autoren: Andreas Gößling
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ich kann’s keinem verdenken: Ich trau mir ja selbst nicht mehr.
    Wär’s nach mir gegangen, Katharina, ich hätte Euer Enkelkind nicht auf den Namen Melchior getauft, aber der Franz wollte’s so.
    »Melchior – das war ja einer der drei Weisen, die zum Jesuskind gepilgert sind«, sprach mein gottfrommer Gemahl. Melchior, denk dagegen ich – so hieß der arme Kerl, der als Erstes unter Julius’ Räder kam, gleich als er einst im Mai in Krumau einzog, Melchior Kurusch, Bruder unsres alten Balthasar, den Julius dann als Letzten henken ließ, ehe der Lumpenteufel fortflog.
    Aber ich will Euch nicht ennuyieren mit so unbedeutenden Leichen, Katharina. Lassen wir die Toten also ruhen, auch Lisetta Kollek, eine zarte, verliebte, furchtsame Maid von neunzehn Jahren, die Julius geschlachtet hat an Eurer statt.
    Hätte ich nur ein wenig früher begriffen: wie er Euch hasste, Madame, brennender noch als seinen falschen Vater d’Alembert. Aber bis ich die Regeln halbwegs verstanden hatte, war das fiebrig bunte Spiel schon wieder vorbei. So wie auch jenes Mariandl sein armes Leben ausgeröchelt hatte, kaum dass sie in Julius’ Bett gesunken war. Wer hat die Mörderaxt gegen sie gehoben, Katharina? Ihr und Monsieur d’Alembert wart wohl von Anfang an überzeugt, dass Julius selbst die Maid gemeuchelt hätt, im Unterschied zu mir: Ich hatte allzu lang die eifersüchtige Schlafwandlerin im Verdacht und war wohl meinerseits von Eifersucht verblendet. Was aber, wenn Ihr ebenso im Unrecht wart wie ich? Wenn kein andrer als der Lumpenteufel die ganze Kabale von vornherein eingefädelt hat – das Mariandl als Köder für Julius und das Horoskop des zwergischen Sternenguckers, der ihm das Erscheinen eines Alchimisten weitab von Prag prophezeite? Dann die Bluttat im Hradschin, von einem gedungenen Mörder zu doppeltem Nutzen vollstreckt: damit das Mariandl den teuflischen Plan nimmer verraten konnte und vor allem, damit Julius auch wirklich nach Krumau reisen musste, wo der Lumpenteufel und seine Kerle schon lauerten?
    War’s so, Madame, oder trau ich da dem Puppenmacher zu viel Fallenstellerkunst zu und Eurem Sohn zu wenig Verblendung? Nach außen hin muss die Rechnung offen bleiben, aber in meinem Innern weiß ich, dass Julius sich oft nur als Wüstling und Wüterich gebärdet hat. In seinem Herzen ist Euer Sohn immer ein Kind geblieben, so unschuldig und hilflos, so einsam und traurig – und nur manchmal auch so unwissend grausam, wie kleine Knaben zuweilen sind.
    Auch mich hätt er ja beinahe geschlachtet, Katharina, und doch hab ich niemals aufgehört, Euren Sohn zu lieben. Der Franz wollte mir nie erlauben, dass ich ihn droben in seinem Käfigturm besuch, aber da half bei mir kein Drohen, kein Verbot: Das ganze Jahr lang bin ich drei-, viermal in der Woche zur Burg hinauf, mit Billigung Eures Hoyos, der seine Wächter angewiesen hatte, mich gleich in den Hungerturm zu führen.
    Anfangs kam ich allein, später mit dem Knäblein in meinem Arm.
    »Schau«, so sprach ich immer zu Julius, »hier ist Melchior, dein Sohn.«
    Er sah dann meistens auf und zu uns zweien hin, die vor seinen Gitterstäben standen, doch gleich sank ihm der Kopf wieder auf die Brust.
    Ich machte mir nichts vor, Madame, wie Ihr’s mir ja auch geraten hattet. Bis zum vorjährigen März hatte ich noch gehofft, nach jenen Szenen in Hezilows Keller nicht mehr. Nie mehr hat er mich beim Namen genannt, nie mehr mich erkannt, nie mehr mich mit Menschenaugen angesehen. Der Vater Eures Enkels, Katharina, war zuletzt ein Tier mit glatter Haut, zum Wolf verwunschen, seit der Lumpenteufel seinen Geist verdunkelt hatte.
    War er schon ein solches Vieh, als er aus Eurem Schoß gekrochen kam? Sicher nicht, Madame, und doch habt Ihr ihn immer wie ein Tier traktiert. Ihn in die Obhut des Bändigers d’Alembert gegeben, dessen Eleganz und Esprit mir tumber Dorfgans so sehr imponierten, dass ich die Kälte übersah, seine vermaledeite Selbstbeherrschung. Er hat Julius geliebt wie einen Sohn, und doch hat er ihn zwanzig Jahre lang gequält, weil Ihr es so befahlt.
    Wenn ich unten in den Hungerturm trat, hörte ich ihn oben meist schon schreien und scharren. Hoyos ließ jeden Morgen seine Zelle mit frischem Stroh aufschütten, auch einen Kamin gab es, allerdings vor seinem Gitter, damit er nicht sich selbst mitsamt dem Turm in Flammen setzte. Und da saß er also splitternackt im Stroh, Madame: Euer Kind, des Kaisers Bastardsohn, Haar und Bart so lang und wirr wie einst
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