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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau
Autoren: Andreas Gößling
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beim Bärenfänger Robse. Anfangs versuchten die Gardisten ihm das Gewand immer wieder anzuziehen, wenn er’s sich vom Leib gerissen hatte, oder ein neues Hemd, wenn das alte in Fetzen am Boden lag. Doch bald sahen alle ein, dass solche Fürsorge wenig verschlug, im Gegenteil: Rastlos war Julius auch als Tier, das nackt durch Stroh und Unflat kroch, zuckende Unruh aber befiel Euren Sohn, wenn man ihn zwang, sich nach Menschenart zu gebärden. Dann kreischte wieder der Teufel mit pfeifender Stimme aus ihm heraus, dann drohte er den Gardisten unerhörte Leibesstrafen an, über die ich aus Schicklichkeit hinweggleiten will, dann stürzten Tränen aus seinen Augen, und er wurde erst wieder ein wenig sanfter, wenn der letzte Fetzen Tuch von seiner Haut gerissen war.
    Ein wenig sanfter, sag ich, denn Frieden fand er niemals mehr. Nicht für die Dauer eines Wimpernschlags, nicht als Mensch und nicht als Tier, nicht wachend und nicht schlafend.
    Glaubt’s oder nicht, mir ist es gleich, Madame, ich selbst wollte’s ja die längste Zeit nicht glauben. Und doch war’s so, auch wenn niemand außer Julius ihn zu Gesicht bekam: In seiner Zelle hauste Flor.
    Der Nabellose, Katharina, Ihr besinnt Euch? Keine jener belanglosen Leichen, deren Anblick edle Augen so belästigt, auch keiner von den unerheblich Lebenden, die immer nur lamentieren, weil ihr Fraß zu karg, die Kammer kalt, das Wams zu fadenscheinig wär. Nein, Madame, bei Eurem Sohn im Stroh saß die geheimnisvollste Kreatur, die je ein Mensch zu sehn bekam. Ihr kennt ihn nur vom Hörensagen, haltet ihn wohl für eine Traumgestalt, von Angst und Aberglauben ausgesponnen. Ich aber, Katharina, hab mit ihm ein Bett geteilt, wie ein Bruder war Flor für mich und mehr, viel mehr: wie eine zweite Hälfte meiner selbst.
    »Ha, da kraucht der Nebelschelm!« So klagte Julius immer, wenn der Nabellose ihn wieder mal zum Besten hielt. »Was willst du, Goldkopf, lass mich, fort mit dir!« Und dann schlug er um sich, machte wilde Sprünge in die Luft, warf sich bäuchlings ins Stroh, die Arme nach vorn gereckt, als ob seine Hände sich um eine unsichtbare Kehle schlossen. Um aber gleich danach wieder aufzublicken, die Wand hinauf, wo in Schulterhöhe ein schmales Fenster in die Turmwand eingelassen ist, hinaus auf den Bärengraben. »Verfluchter Mondsack, dich krieg ich!« Wieder sprang er auf, seine Hände packten die Gitterstäbe im Fenster, und im Nu zog er sich zur Scharte empor. Aber der zierliche Flor schien schon auf und davon, zwischen den Stäben hindurch, die für Julius’ Gestalt zu eng beisammen standen.
    Wie Leid er mir da tat, Katharina, Euer Sohn, wenn er wieder ins Stroh hinabgesprungen kam, zornig und verzweifelt, da der Nabellose ihn wieder gepiesackt hatte und ihm abermals entkommen war.
    »Behauptet, ich wär schuld, dass er hier rumgeistern muss, der arge Schattennarr«, klagte er dann zu mir herüber, ohne mich oder Melchior jemals wahrzunehmen. »Fordert, ich sollt mit ihm gehen, ihm auf die andre Seite helfen, damit endlich Frieden wär, für seine Seele und für meine auch.«
    Dann konnte’s geschehen, dass er wieder in Tränen ausbrach, Madame, mein starker Julius wie ein kleines Kind in sich zusammensackte und weinte, weinte, Katharina, wahrhaftig wie der Wolf, der manchmal droben im Schlosspark saß und die halbe Nacht den Mond anheulte!
    Bis Hoyos’ Gardisten es nicht mehr ertrugen und mit dem schwappenden Bottich herbeigestürmt kamen: »Maul halten, Exzellenz, oder einen Schwall kaltes Wasser übers Haupt – das kühlt Euch und Eure Spukgeister ab!«
    Und dann wieder Euer Sohn, Katharina: »Die Schwarte schab ich euch scheibenweis vom Gebein!«
    Spätestens da fing auch Euer Enkelchen an zu schreien, verängstigt durch die Flüche seines Vaters, und wie erst durch den Wasserschwall, der durchs Gitter in Julius’ Zelle klatschte. Pudelnass hockte er dann in einem Winkel, leise wimmernd, die Knie an die Brust gezogen, die Stirn auf seinen Armen, und schaute niemals auf, kein einziges Mal, Katharina, wenn ich ans Gitter trat, um ihm für diesen Tag Adieu zu sagen.
    »Auf bald, mein geliebter Herr.« Darauf antwortete er so wenig, als hätte ein Hund drunten in der Stadt gebellt.
    Und doch hab ich nie aufgehört, ihn zu lieben, und doch hätte ich alles getan, um ihn weiter besuchen zu können, dreimal die Woche oder mehr. Alles, alles, Madame, mehr, sehr viel mehr als nur mit dem Brodner Franz schönzutun, damit er’s mir nicht übel nahm, wenn ich
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