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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau
Autoren: Andreas Gößling
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schon draußen in den Gassen war er ja wie ein Besoffener an der Hand der Hure gewankt.
    »Weiter«, sagte er, wobei er an Mariandls Schulter Halt suchte, »und ohne auf Effekt zu schielen – ich befehl’s.«
    Der Alte glättete das Pergament so krachend, als ob er’s zerreißen wollte. »Weil der Mond in Euerm Horoskop verworfen steht, Euer Gnaden«, fuhr er fort, »wird Euer Argwohn Euch zu Nachteil und Verachtung bei denen gereichen, mit welchen Ihr umgehen müsst. Für einen einsamen, leichtfertigen Unmenschen werden die Leute Euch halten. Und tatsächlich werdet Ihr diese Charakterzüge zeigen: Unbarmherzigkeit, ohne brüderliche Liebe zu Euren Nächsten; niemanden achtend, nur Euch selbst und Euren Wollüsten ergeben; hart zu Euren Untertanen, meistenteils in Euch versunken, oft ungestüm und streitbar; von unnützer Furcht geplagt, weil Saturn die Einbildungen verdirbt.«
    Als das Mariandl leise aufseufzte, stockte der Sternseher wieder und spähte zu Julius empor, der seine Rechte in die weiche Schulter des Mädchens grub. Wie klein und schwächlich sie ist, dachte Julius, und dazu ihr grobes schwarzes Haar, das sich fast wie Draht anfühlt. Wie kommt’s nur, dass ich mich von ihr bestricken ließ? Ihre Brüstchen sind platt wie der Sermon ihres Sternguckers, den sie mir so überschwänglich angepriesen hat: der beste Astrolog von Prag? Pah, ich spei drauf.
    Kurz musste Julius die Augen schließen, so schwindlig war ihm mit einem Mal. »Ist das alles, Kerl?«, fuhr er den zwergischen Alten an.
    »Habt Ihr Euch nicht gebrüstet, mein Leben mit Genauigkeit vorauszusehen? Und leiert stattdessen nur Phrasen und Hohnworte, wie von Sargenfalt, mein Leibastrolog, sie täglich dutzendfach runterbetet.«
    Der Seher kratzte sich mit krummen Fingern unterm Spinnwebbart. »Betrug und Vorspiegelung argwöhnt Ihr allerorten«, krächzte er, »wies Euch in den Sternen geschrieben steht.« Noch einmal beugte er sich übers Pergament. »Der Komet, der letzte Woche über der Kaiserstadt stand, von der Gestalt des Ouroboros, des Drachens der Alchemie, Exzellenz – zusammen mit Eurem Saturnus bewirkt er günstigen Fortschritt Eurer geheimsten Pläne. Ein Erleuchteter wird Euch aufsuchen, sehr bald schon, noch ehe Ihr das dreiundzwanzigste Lebensjahr vollendet. In seinem Gefolge eine künstliche Figur, die er erschaffen hat kraft seiner alchymischen Magie. Aber nicht hier in Prag wird er auf Euch stoßen, Euer Liebden, in der Kaiserstadt lauern Euer Verdruss und große Gefahr.«
    »Nicht in Prag?«, wiederholte Julius.
    »Sehr wohl, sehr wohl, herrlichste Gnaden«, brabbelte der Sterngucker. »Gold in breiten Strömen und geschaffne Kreaturen sonder Zahl, alles für Euch, aber nicht hier …«
    »Was schwadroniert er da für einen Unfug!«, fuhr ihm Julius in die Rede. »Schluss jetzt!« Sturzdüster war ihm mit einem Mal zumut. Nicht genug, dass seine Mutter Katharina da Strada und der unvermeidliche Maître d’Alembert ihn seit Jahr und Tag moldauabwärts verfrachten wollten, in die vollkommen verwaiste und verwahrloste Burg von Krumau. Jetzt kam auch noch dieser Sterngucker dahergeschlottert und bramarbasierte von Gunst und Erleuchtung, die seiner angeblich harrten, was ja gut und schön war – aber fernab von Prag?
    Er tastete nach seinem Beutel und ließ zwei Kupfermünzen auf die Spiegelscherbe klirren. Hier ist mein Platz, hier in der Kaiserstadt, dachte Julius, bei Krone und Thron, nirgendwo sonst. Und er befahl dem Mariandl, ihn augenblicklich zurück zur Burg zu bringen.
     
    Hufklappern hallte dumpf in ihm nach, als er irgendwann später auf sein Bett fiel und das Mariandl unter sich begrub. Doch im Grunde wusste er nicht, wie er überhaupt nach Haus gekommen war, auf der Kutschbank eher liegend als sitzend, ein Sausen im Schädel und das hitzige Hürchen in seinem Arm. Sie hatte den Pergamentfetzen für ihn mitgenommen, das erheiterte ihn über die Maßen, als er mit der Hand in ihr Dekollete fuhr und das Horoskop zu fassen bekam. Vor ihnen grunzte der Kutscher auf seinem Bock und ließ die Peitsche schnalzen, und Julius wühlte sich immer tiefer in ihr Kleid hinein. Besoffen, durchfuhr’s ihn wieder, während über ihnen Donner grollte. Aber wie denn – von dem einen Becher Hollerschnaps? Dann platschte schon Regen auf ihre Köpfe hernieder, und danach wusste er nichts mehr: nicht, wie sie in die Burg gekommen waren, nicht, wie das Mariandl ihn in die Infantengemächer geschleppt hatte, wo er seit seiner
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