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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau
Autoren: Andreas Gößling
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Ohren gedrückt, doch wenn er die Hände öffnete und schloss, war’s ihm immer noch, als fühlte er klebrig-feuchtes Rot. Mariandl, dachte Julius, wie kann’s nur sein, ich war’s nicht, und ich begreif’s nicht.
    »Alles wird sich weisen, nur ruhig Blut, Excellence. Das Mädchen wird außerhalb der Burgmauern gefunden werden, keine Sorge, dennoch müssen wir sichergehen.« Mit samtener Stimme sprach d’Alembert nun auf ihn ein, als gelte es, einen Tobsüchtigen einzulullen. »Sollte trotzdem ein Verdacht auf Euch fallen, so ist es besser, wenn Ihr fernab von Prag weilt. Wer würde den Grafen von Krumau mit einer solchen Affäre in Verbindung bringen?«
    »Aber mein Platz ist in Prag!«, schrie Julius auf. »Bringt mich zurück, ich fleh Euch an, d’Alembert!«
    »Ihr dürft Euch glücklich schätzen, Excellence, dass Eure Frau Mutter und ich seit Jahr und Tag alles vorbereitet haben.« Nur der Schweiß auf d’Alemberts Stirn und Wangen verriet, dass er seinen eignen Worten nicht vorbehaltlos traute. Dicke Tropfen, die seine Schminke zersetzten und die Falten offenbarten, die dreiundvierzig Lebensjahre eingegraben hatten, davon bald zwei Jahrzehnte als Erzieher des Kaisersohns. »Krumau wird Euch gefallen, wartet nur ab.«
    D’Alembert zog sein Stöckchen zurück, und der Vorhang fiel herab.
    Er glaubt mir kein Wort, dachte Julius, aber wie auch: Ich trau mir ja selbst nicht mehr übern Weg. Schon einmal war’s so brandrot über ihn gekommen, auch sie ein Hurenweib, um deren prallen Hals sich plötzlich seine Hände schlossen. Aber warum auch hatte sie ihr Frätzchen breit gezogen: »Ah, Herr Bastard, Ihr macht’s mir gut!« Wenn er eins ums Verrecken nicht vertrug, dann dieses Hohnwort: Bastard! Damals hatte der Maître ihn im allerletzten Moment von der Unseligen weggerissen, deren Augen schon wie weiße Kugeln aus der violetten Larve quollen. Aber da hatte er sich wenigstens erinnert, an ihren Hohn, ihr dreistes Lachen – und diesmal: nichts! Er hatte sich in ihr verströmt, dann nur noch Schwärze: als ob er wahrhaftig in ihrem Schoß ersoffen wär! Mariandl!
    Von draußen drangen Rufe in die Kutschkabine, Julius fuhr aus seinen Grübeleien auf. Er schob den Vorhang zur Seite und spähte neuerlich hinaus. Knapp neben der Fahrspur ging es schroff hinunter, auf bewaldeter Böschung bis zum Bett der Moldau, wo eben in träger Fahrt ein Kahn vorübertrieb. Der dicke Mann auf dem Wasser zog grüßend die Mütze, starr sah Julius auf ihn hinab. Ah, Fischersmann sein, den Wanst auf den Bootsrand stützen und immerdar in die Wellen stieren wie dieser da! Oder Sautreiber, Bader, Schafhirt meinethalben, ein Leben ohne Ehrgeiz, Sehnsucht, Perspektive, im Hin und Her von Brunst und Tran vertan – alles lieber als verbannt nach Krumau, in die grauenvolle Grafengruft!
    Das tote Hürchen kommt den beiden nur zu gelegen, dachte er mit einem Mal, und plötzlich wurde ihm kalt. Er kroch tiefer in seinen scharlachroten Umhang, ein Geschenk seiner Mutter Katharina, der kaiserlichen Mätresse. Seit Wochen lauern d’Alembert und die Mutter auf einen Vorwand, mich nach Krumau abzuschieben, dachte er – zu meinem Besten natürlich, was denn sonst! Wieder und wieder hatten sie auf ihn eingesäuselt: was für eine gewichtige Herrschaft dieses Krumau wär, was für eine Glanzleistung der beiden, dem Kaiser die Grafschaft abzuschmeicheln, und was für eine Gnade der väterlichen Majestät, mir die abgenagten Überreste der alten Rosenberger anzuvertrauen! Bis gestern hatte sich Julius geweigert, auch nur besuchsweise nach Krumau zu rumpeln, einen halben Kutschtag ab von Prag. Jetzt aber – jetzt hatten sie ihn dort, wo sie ihn anpflocken wollten: Julius Caesar Graf von Krumau, was für eine jämmerliche Farce! Wie können sie’s wagen, mich in den Wald zu verbannen, dachte er und spürte ein Brennen in der Kehle – mich, Rudolfs erstgeborenen Sohn?
    Am liebsten hätte er ausgespuckt, in d’Alemberts mehlweiß gepudertes Antlitz mit den blitzenden Augen, dem ständig wie zum Spott verzogenen Tollkirschmund. Und doch werd ich niemals meine verborgensten und offenbarsten Hoffnungen begraben: Julius Caesar von Habsburg, Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, oder zumindest, bei allen hussitischen Henkershuren, König von Böhmen, wenigstens das!
     

  2
     
     
    Um die Mittagsstunde passierten sie das Budweiser Tor und rollten in die Unterstadt von Krumau; niemand nahm von dem weißen Zweispänner mit den verhängten
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