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Der Agent - The Invisible

Der Agent - The Invisible

Titel: Der Agent - The Invisible
Autoren: Andrew Britton
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frühen Erwachsenenjahren ein passionierter Wanderer und Bergsteiger gewesen war. Er hatte sich an Herausforderungen vom Mount Rainier im Bundesstaat Washington bis zum Ben Nevis in Schottland gewagt, seine Kräfte aber noch nie so herausgefordert wie während der letzten Monate. Ihm war vage bewusst, woher dieses plötzliche Verlangen kam, die Grenzen seiner Belastbarkeit auszutesten, doch obgleich er über die Ursache nachgedacht hatte, war es
ihm nicht gelungen, zu den wirklichen Erklärungen durchzudringen. Hauptsächlich lag es daran, dass er es trotz größter Anstrengungen und guter Beziehungen nicht geschafft hatte, jene Frau zu finden, wegen der er so gelitten hatte.
    Sie war seit Januar spurlos verschwunden, vier Monate nachdem sie ein Terrorist in New York City lebensgefährlich verletzt hatte. Kealey hatte zwei Monate gewartet, doch obwohl er Fühler ausstreckte und seine Beziehungen spielen ließ, waren alle Versuche vergeblich, etwas über ihren Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen. Als es März wurde, hatte er schließlich aufgegeben und akzeptiert, dass sie nicht gefunden werden wollte. Einige Wochen gelang es ihm halbwegs, das Thema zu verdrängen, doch dann verlor er die Lust, immer nur herumzusitzen und doch an sie denken zu müssen. Er beschloss, sich aus der Situation zu befreien. Zu dieser Zeit wollte er nur einen klaren Kopf bekommen und vergessen. Dafür schien ihm die raue Schönheit einiger der isoliertesten Landstriche der Welt geeignet zu sein.
    Das war drei Monate her. Seitdem hatte er den Mount McKinley in Alaska erklommen, den Kilimandscharo im Nordosten Tansanias und den Mount Cook in den neuseeländischen Alpen. Er hatte die Atacama-Wüste an ihrer breitesten Stelle durchquert, hohe Berge im marokkanischen Atlasgebirge bestiegen und die Trekkingroute Paine Circuit in Patagonien absolviert, hatte seinen Körper bis an die äußerste Grenze der Belastbarkeit herausgefordert. Doch es half nicht. Um das zu begreifen, hatte er ein halbes Jahr benötigt, aber die Wahrheit war nicht zu ignorieren. Was er auch tat und wohin er sich wandte, er konnte Naomi Kharmai nicht vergessen.
    Seit dem Tag ihres Verschwindens hatte er herauszufinden versucht, was er hätte tun können, um sie von ihrer Flucht
abzuhalten. Es war schwierig, den schlimmsten Aspekt der Lage zu bestimmen. Sie war insgesamt hoffnungslos, doch einige Dinge waren noch schlimmer als andere. Wenn er aufrichtig darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass ihn nicht ihr spurloses Verschwinden am meisten beunruhigte. Am bedrückendsten fand er ihre Unfähigkeit, sich der Vergangenheit zu stellen. Die Tat des Terroristen, die sie im letzten September fast das Leben gekostet hätte, hatte in vielfacher Hinsicht Narben hinterlassen. Obgleich er alles versucht hatte, ihr über die schwierige Erfahrung hinwegzuhelfen, hatte sie sich nie völlig davon erholt. Zumindest nicht seelisch. Als er sie zum letzten Mal gesehen hatte, war sie immer noch nicht bereit, sich der Lage wirklich zu stellen.
    Das alles belastete ihn, und es fiel schwer, darin nicht auch etwas wie ein persönliches Versagen zu sehen. Wenn sie verschwunden war, weil sie mehr brauchte, als er ihr bieten konnte, war das eine Sache. Es war nicht leicht, damit fertig zu werden, doch damit wäre er klargekommen. Ihn bedrückte, dass es ihr jetzt womöglich noch schlechter ging als zum Zeitpunkt ihres Verschwindens - vielleicht hatten sich ihre Schuldgefühle, ihre Trauer und ihre Depression verschlimmert. Er wollte sie nicht unter Druck setzen, hätte aber alles dafür gegeben, ihr Gesicht zu sehen. Und sei es nur, um Gewissheit zu haben, dass sie noch lebte.
    Er verlagerte das Gewicht seines Rucksacks und überquerte den dunklen Parkplatz des Hotels in Richtung Eingang. Bevor ihn die Beleuchtung erfasste, blieb er noch einmal stehen, um zu dem klaren nächtlichen Himmel aufzublicken. Seit einer Stunde waren die Sterne zu sehen, die hier auf dem Land außergewöhnlich hell wirkten. Hinter dem niedrigen Gebäude ragte der Berg mit dem Gletscher auf, eine dunkle Silhouette vor
dem nachtblauen Hintergrund. In der trockenen, reinen Gebirgsluft tanzten grünliche Lichtbänder. Das auch als Aurora borealis bezeichnete Nordlicht hatte er vor der Landung in Keflavík nie gesehen, und der Anblick war zugleich überirdisch schön und unglaublich unheimlich.
    Nachdem er das Polarlicht noch ein paar Augenblicke bewundert hatte, zog er die Eingangstür auf und nickte der pummeligen,
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