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Der Agent - The Invisible

Der Agent - The Invisible

Titel: Der Agent - The Invisible
Autoren: Andrew Britton
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Abschiedslächeln geschenkt, und sie musste nicht lange darüber nachdenken, woher sie es kannte. Ihr Großvater hatte sie so angelächelt, vor zwei Jahren, am Abend vor jener Nacht, in der er starb.
     
    Nachdem der alte Mann das Café verlassen hatte, ging er auf dem Pier spazieren und blickte auf die auf dem Wasser des Südatlantiks tanzenden Lichter. Am Nachmittag hatte es stark geregnet, und der Pier war mit Pfützen übersät, in denen sich die Lichter der Häuser auf der anderen Straßenseite spiegelten. Zu dieser späten Stunde war praktisch niemand unterwegs, und der Pier lag verwaist vor ihm. So mochte er ihn am liebsten - er fand die Zeit und die Einsamkeit, die er zum Nachdenken brauchte. Er blickte auf sein Leben zurück, auf die unzähligen Entscheidungen, die er in über siebzig Jahren getroffen hatte.
    Immer häufiger bedauerte er Dinge, die er getan hatte, wobei er vor allem an eine Tat dachte. Dagegen bezog sich seine Reue nicht auf die Gründe, die hinter diesen Taten gestanden hatten, und er wusste, dass sich daran nie etwas ändern würde. Warum sollte er sich dafür entschuldigen, seine Kinder zu lieben? Warum bereuen, dass er unter Einsatz aller Mittel versucht
hatte, sie zu beschützen? Die Antwort lautete natürlich, dass es letztlich nicht möglich war, darauf lief alles hinaus. Schlafen konnte er nachts nur, weil er wusste, dass er all die Jahre über zumindest mit den richtigen Absichten gehandelt hatte.
    Am Ende des Piers blieb er stehen. Er starrte auf das dunkle Wasser und lauschte dem Geräusch der Wellen, die gegen die Betonpfeiler schlugen. Nach zehn Minuten hörte er hinter sich ein Geräusch. Ein Geräusch, das so klang, als wollte jemand auf sich aufmerksam machen. Für einen Augenblick erstarrte er, doch dann drehte er sich langsam um, mit seitlich ausgestreckten Armen, um seinem Mörder in die Augen zu blicken.
     
    Der Amerikaner war kaum wiederzuerkennen, was nicht daran lag, dass der Pier in Dunkelheit gehüllt war. Trotz des trüben Lichtes konnte Javier Machado sehen, dass der junge Mann stark abgenommen hatte, vielleicht an die fünfzehn Kilo, und die Falten in seinem abgehärmten Gesicht hätten eigentlich noch zehn Jahre auf sich warten lassen müssen. Machado war so auf die unglaubliche äußerliche Veränderung des Mannes konzentriert, dass er fast die Pistole in seiner rechten Hand übersehen hätte, die auf seine Brust zielte. Er musste nicht genau hinsehen, um zu wissen, dass es eine 22er Beretta mit Schalldämpfer war, wie er sie selbst unzählige Male benutzt hatte. Das entbehrte nicht einer gewissen Ironie, doch es interessierte ihn nicht mehr. Mit seinen zweiundsiebzig Jahren hatte er ein Alter erreicht, wo ihn kaum noch etwas überraschte.
    Er wartete, ob der Amerikaner etwas zu sagen hatte, doch als der weiter schwieg, ergriff er das Wort. »Sie waren sehr beschäftigt.« Er war erstaunt, wie fest seine Stimme klang; er hatte
immer geglaubt, dass er in diesem Augenblick Angst haben würde. »Sie haben meinen Kollegen in Karatschi getötet.«
    »Vermutlich meinen Sie Fahim. Haben Sie ihn nicht so genannt, als wir das letzte Mal sprachen?«
    »Und Rabbani in Paris. Ich nehme an, dafür sind Sie ebenfalls verantwortlich.« Der wissende Blick des anderen sagte Machado, dass er recht hatte. Er hielt es für überflüssig, noch ein halbes Dutzend Geschäftspartner des Schmugglers zu erwähnen, die im Laufe der letzten acht Wochen ums Leben gekommen waren. Er hatte endgültig Bescheid gewusst, als vor drei Wochen der dritte Mann spurlos verschwunden war, ein Geldwäscher aus Antwerpen, aber er hatte nicht an Flucht gedacht. Und als dann in der letzten Woche Fahim in Karatschi getötet worden war, hatte er gewusst, dass es nur noch eine Sache der Zeit war.
    Jetzt war es so weit.
    »Wo ist sie?«, fragte der junge Mann so beiläufig, als hätte er sich nach einem Weg erkundigt. »Wo ist Naomi? Was haben Sie mit ihr gemacht?«
    Machado spreizte langsam die Hände. »Ich habe gesagt, dass sie verschwinden würde, wenn Sie nicht tun, was ich sage. Sie haben es nicht getan. Tut mir leid, sie ist tot.«
    »Ihre Leiche …«
    »Es gibt keine Leiche.« Machado schüttelte kaum merklich den Kopf, als müsste der andere wissen, was er meinte. »Verstehen Sie nicht? Sie hat nie existiert. Mehr ist dazu nicht zu sagen … Ich weiß nicht, was Sie sonst noch von mir hören wollen.«
    Er bekam keine Antwort.
    Machado war klar, dass er nur noch ein paar Augenblicke zu leben hatte,
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