Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Abgrund

Titel: Der Abgrund
Autoren: David Baldacci
Vom Netzwerk:
Todesurteil für das Straßenkind war, wenn man es zusammen mit jemandem wie Web sah. Die Leute, die hier das Sagen hatten, würden davon ausgehen, dass der Junge ein Verräter war, und zur Belohnung seine Leiche im Wald deponieren.
    Das Kind zuckte zusammen und blickte sich um, während Web Tempo zulegte. Web verlor die Hälfte seiner Ausrüstung, als er vom rauen Asphalt aufsprang, wie eine zweihundert Pfund schwere Schlange auf Speed. Web spürte, wie mindestens ein Dutzend Kratzer an seinen Beinen, Händen und in seinem Gesicht bluteten. Seine linke Hand kribbelte, als würden dort tausend Wespen eine Party veranstalten. Die Weste war jetzt verdammt schwer geworden, und sein Körper schmerzte bei jeder Bewegung. Web hätte sein Gewehr fallen lassen können, aber er brauchte es noch. Nein, die verfluchte SR75 würde er niemals loslassen.
    Web wusste, was das Kind vorhatte. Der letzte Ausweg, die Flucht nach vorn. Der Junge würde quer über den Hinterhof rennen und in einem der gegenüberliegenden Gebäude verschwinden. Er konnte die Geschosse genauso gut hören wie Web. Aber er konnte die Schussbahnen nicht sehen. Er konnte ihnen nicht ausweichen. Trotzdem wusste Web, dass der Junge es versuchen wollte.
    Das Kind sprintete los, und Web machte seinen Satz in allerletzter Sekunde, sodass die beiden am Rand der Sicherheitszone aufeinander trafen. Den Zusammenstoß gewann  Web zehn zu eins. Das Kind trat nach ihm, seine knochigen Fäuste schlugen ihm ins Gesicht und gegen die Brust, während sich Webs lange Arme um ihn klammerten. Web zog sich weiter auf die Straße zurück, den Jungen in den Armen. Es war nicht sehr angenehm, mit bloßen Händen auf Kevlar einzuschlagen, daher stellte der Junge die Gegenwehr irgendwann ein und sah Web an. »Ich habe nichts getan. Lassen Sie mich los!«
    »Wenn du hier rumrennst, bist du tot!«, schrie Web gegen den Kampflärm an. Er hob seine blutüberströmte Hand. 
    »Ich trage kugelsichere Schutzkleidung, und nicht einmal ich könnte da draußen überleben. Diese Munition würde dich in Stücke zerfetzen.«
    Der Junge beruhigte sich, als er Webs Verletzungen sah. Web brachte ihn weiter vom Hinterhof und den Maschinengewehren weg. Jetzt konnten sie wenigstens miteinander reden, ohne sich anschreien zu müssen. Irgendetwas trieb Web dazu, die Schusswunde in der Wange des Jungen zu berühren. »Du hast schon einmal großes Glück gehabt«, sagte er. Der Junge knurrte und riss sich von ihm los. Bevor Web blinzeln konnte, hatte er sich wieselflink aufgerappelt und umgedreht und wollte über die Straße davonlaufen. »Wenn du ihnen im Dunkeln entgegenrennst«, rief Web, »ist deine Glückssträhne vorbei. Sie werden dich von der Straße pusten.«
    Der Junge hielt an und drehte sich wieder um. Zum ersten Mal schienen seine Augen Web wirklich wahrzunehmen. Dann warf er einen Blick in Richtung Hinterhof.
    »Sind sie tot?«, fragte er.
    Statt einer Antwort nahm Web das große Gewehr von der Schulter. Der Junge wich einen Schritt zurück, als er die furchteinflößende Waffe sah.
    »Scheiße, was haben Sie mit dem Ding vor?«
    »Duck dich und rühr dich nicht von der Stelle«, sagte Web. Er wandte sich wieder dem Hof zu. Jetzt ertönten von allen Seiten
    Sirenen. Die Kavallerie ritt ein, aber wie immer zu spät. Jetzt wäre es das Klügste, gar nichts zu tun. Aber damit erreichten sie nichts. Web hatte eine Aufgabe, die er zu Ende bringen musste. Er riss einen Zettel aus dem Notizblock, den er am Gürtel trug und kritzelte hastig etwas auf das Papier. Dann zog er seine Mütze unter dem Helm hervor. »Hier«, sagte er zum Jungen. »Geh langsam die Straße zurück, ohne zu rennen. Halte diese Mütze hoch und gib den Männern, die hierher unterwegs sind, diesen Zettel.« Der Junge nahm die Sachen an. Seine langen Finger krümmten sich um den Stoff der Mütze und das zusammengefaltete Stück Papier. Web zog seine Leuchtpistole aus einer Tasche und lud sie. »Wenn ich schieße, gehst du los, langsam!«, wiederholte Web. »Du darfst auf keinen Fall rennen.«
    Der Junge betrachtete den Zettel. Web hatte keine Ahnung, ob er überhaupt lesen konnte. In dieser Gegend konnte man nicht davon ausgehen, dass Kinder wenigstens das lernten, was andernorts als Minimalausbildung galt.
    »Wie heißt du?«, fragte Web. Der Junge musste sich unbedingt beruhigen. Wer nervös war, machte Fehler. Und Web wusste, dass die heranstürmenden Männer alles einäschern würden, was ihnen entgegengestürmt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher