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Der Abgrund

Titel: Der Abgrund
Autoren: David Baldacci
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etwas seine Hand, und er zog sie sofort zurück. Nur ein Querschläger. Ein direkter
    Treffer hätte ihm die gesamte Hand abgerissen. Web zählte nach, aber alle fünf Finger waren noch vorhanden. Der heftige Schmerz gab ihm den Willen, zu kämpfen, weiterzuleben. Und wenn es nur deshalb war, um jene zu vernichten, die dies getan hatten. Allerdings war Webs Trickkiste jetzt so gut wie leer. Und zum ersten Mal in seiner Karriere fragte er sich, ob der Gegner, mit dem er es hier zu tun hatte, womöglich wirklich besser war als er.
    Web wusste, dass er nicht mit dem Denken aufhören durfte, sonst würde er vielleicht aufspringen und auf Dinge feuern, die sich nicht töten ließen. Also konzentrierte er sich auf die taktische Situation. Er befand sich in einer sorgsam eingegrenzten Todeszone, die aus zwei Richtungen unter Beschuss genommen wurde, sodass ein Neunzig-Grad-Winkel der Zerstörung entstand. Und es gab keinen menschlichen Gegner, der sich irgendwie aufhalten ließ. Gut, das war die Situation. Aber was konnte er dagegen ausrichten? Welches Kapitel im Lehrbuch befasste sich damit? Vielleicht das mit der Überschrift »Wenn du am Ende bist«? Mein Gott, der Lärm war ohrenbetäubend. Er konnte nicht einmal hören, wie sein eigenes Herz pochte. Sein Atem kam in kurzen Stößen. Wo waren Whiskey und X-Ray, verdammt noch mal? Und Hotel? Konnten sie nicht schneller laufen? Aber was hätten sie schon tun können? Sie waren ausgebildet, gegen menschliche Ziele vorzugehen, aus kleiner oder großer Entfernung. »Hier ist nichts, worauf ihr schießen könnt!«, schrie er.
    Das Kinn gegen die Brust gepresst, blickte Web überrascht auf, als er den kleinen Jungen sah, der ohne Hemd auf dem Betonbrocken gesessen hatte. Jetzt hielt er sich mit den Händen die Ohren zu und hockte an der Ecke zur Nebenstraße, durch die Web und seine Männer gekommen waren. Wenn sich der Junge in den Hinterhof wagte, würde er später im Leichensack abtransportiert werden. Vielleicht sogar in zwei Leichensäcken, denn die 50er-Munition würde den mageren Körper problemlos  in zwei Hälften zerreißen.
    Der Junge machte einen Schritt und näherte sich dem Ende der Ziegelwand. Er war unmittelbar vor dem Hof. Vielleicht hatte er vor, Web zu Hilfe zu kommen. Oder er wartete ab, bis das Feuer eingestellt wurde, damit er den Leichen alle Wertsachen und Waffen abnehmen konnte, um sie später auf der Straße weiterzuverkaufen. Vielleicht war er auch nur neugierig. Web wusste es nicht, und im Grunde war es ihm auch egal.
    Das Feuer wurde eingestellt, und plötzlich war es still. Der Junge wagte sich einen weiteren Schritt vor. Web schrie ihn an. Er erstarrte, weil er offensichtlich nicht damit gerechnet hatte, von einem Toten angebrüllt zu werden. Web schob eine Hand vor und rief ihm zu, sich zurückzuhalten, doch dann begann die Schießerei von neuem und verschluckte das Ende seiner Warnung. Web rutschte auf dem Bauch unter dem Feuerhagel hindurch und schrie den Jungen mit jeder Bewegung an. »Bleib zurück! Geh zurück!«
    Der Junge schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Web starrte ihn unentwegt an, was sehr schwierig war, wenn man sich gleichzeitig auf den eigenen Körper konzentrieren, wenn man befürchten musste, keinen Kopf mehr zu haben, falls man ihn nur einen Zentimeter höher hob. Endlich tat der Junge, was Web von ihm erwartete: Er wich zurück. Web kroch schneller. Der Junge drehte sich um und wollte davonlaufen. Web schrie ihm zu, dass er stehen bleiben sollte. Erstaunlicherweise gehorchte er ihm.
    Web hatte fast den Straßenrand erreicht. Für seine nächste Aktion war ein perfektes Timing notwendig, denn für das Kind war ein neues Gefahrenelement ins Spiel gekommen. Während der letzten Feuerpause hatte Web marschierende Schritte und Rufe aus der Ferne gehört. Sie kamen. Web dachte, dass alle auf den Beinen sein mussten: Hotel und die Scharfschützen sowie die Reserveeinheit, die die Einsatzzentrale immer für den Notfall bereithielt. Nun, wenn dies kein Notfall war... Ja, sie kamen zu Hilfe geeilt, oder zumindest glaubten sie das. In Wirklichkeit rannten sie einfach nur blind los, ohne vorher die Lage erkundet zu haben.
    Das Problem war, dass der Junge sie ebenfalls hörte. Web ahnte, dass der Junge genau wusste, wer sie waren, wie ein Fährtenleser, der am Geruch der Erde erkannte, wo sich die großen Büffelherden aufhielten. Der Junge fühlte sich in die Enge getrieben, und zwar aus gutem Grund. Web wusste, dass es ein
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