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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli
Autoren: Christian Ditfurth
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erschießen. Berija würde das gleiche Schicksal erleiden.
    »Grujewitsch, wollen Sie etwas sagen?«
    Grujewitsch schüttelte den Kopf.

EPILOG
    V ielleicht war er vor der Machtübertragung an die Nazis Sozialdemokrat gewesen. Der Mann ging gegen die Sechzig, wenige Jahre noch bis zur Pension. Von Anfang an behandelte er Werdin korrekt, seit etwa einem Jahr zeigte er sich geradezu freundlich. Sie stammten beide aus der politischen Arbeiterbewegung. Welchen Geruch immer diese Herkunft den Menschen verlieh, viele wurden ihn nicht mehr los. Zuerst signalisierten die Augen des Mannes Verständnis, wenn Werdin ihn ansprach. Dann nickte er manchmal leicht. Einmal sagte er: »Ja, vielleicht.« Das Schweigen war gebrochen. Einen Monat danach sagte der Mann ihm seinen Namen: Kaiser. Als Werdin ihn fragte, ob er schon vor 1933 Gefängniswärter gewesen sei, nickte Kaiser. Als er ihn fragte, ob er Sozialdemokrat gewesen sei, Untergebener der letzten gewählten preußischen Regierung, wiegte er seinen Kopf und grinste kurz. Werdin sagte ihm, er sei Kommunist gewesen und habe als solcher versucht, die SS auszuforschen. Kaiser schaute ihn neugierig an und sagte: »Verrückt.« Dann begann er ab und zu eine Zeitung in der Zelle zu vergessen. Werdin ließ sie im Klo verschwinden, nachdem er sie gelesen hatte. Meistens war es die B. Z.
    Jedes Jahr zum Todestag erschienen Nachrufe auf Heinrich Himmler und Helmut von Zacher. Die gesamte Führungsspitze der SS war vierundzwanzig Stunden nach Werdins Verhaftung einem Flugzeugunglück zum Opfer gefallen. General von Zacher habe das Flugzeug gesteuert. So einen Zufall gibt es nicht, der Zacher hat sich mit seiner Maschine auf die Wewelsburg gestürzt, dachte Werdin. Die Schwarzen haben seine Frau und seinen Sohn verhaftet, und er hat sich gerächt. Er hätte besser versucht, seine Familie aus dem Gefängnis zu befreien. So dachte er, bis Irma ihm schrieb.
    Eines Tages hatte Werdin Kaiser einen Brief gegeben an Irma von Zacher, Rummelsburger Straße 56, Berlin. Kaiser hatte große Augen gemacht, den Brief eingesteckt und war gegangen.
    In seinem Brief schilderte Werdin, wie er niedergeschossen und verhaftet worden war. Er hatte erst damit gerechnet, gefoltert und schließlich ermordet zu werden. Sie würden ihn nicht einmal vor Gericht stellen, die Geschichte war zu peinlich für die SS. Aber er wurde nicht gequält, nicht der SD, sondern die Kriminalpolizei vernahm ihn, nachdem er im Gefängniskrankenhaus Moabit gesund gepflegt worden war. Ein Staatsanwalt befragte ihn nach Lebenslauf und Motiven. Er sagte ihm viel, weigerte sich aber, seine Auftraggeber zu nennen. Natürlich glaubten sie ihm nicht, dass allein sein Hass auf die SS ihn nach Deutschland getrieben hatte. Genauso wenig, dass niemand ihm geholfen habe, den Atlantik zu überqueren und die Grenzkontrollen zu überlisten. Er erzählte ihnen, er sei über Spanien und Frankreich nach Deutschland gereist. Im Badischen habe er die Grenze passiert.
    Seit drei Jahren wartete Werdin, dass sie ihm den Prozess machten. Aber er hatte noch nicht einmal eine Anklageschrift gesehen. Offenbar war sich die Justiz unsicher, was sie mit ihm anstellen sollte.
    Eine Woche nachdem er Irma geschrieben hatte, kam Kaiser und steckte ihm einen weißen Umschlag zu. Irma antwortete. Sie seien nur zwei Tag in Haft gewesen, schrieb sie.
    Helmut hat sich mit Absicht auf die Wewelsburg gestürzt, er hat mir in einem Abschiedsbrief geschrieben, dass er seinem Leben ein Ende setzen will, und ich finde, Du sollst das wissen. Er hasste die SS, aber nicht erst, seit der SD Josef und mich verhaftet hat. Er hat es nie verkraftet, dass er die Bombe auf Minsk geworfen hat. Er hasste vor allem Himmler, der die Bombe bauen ließ und auch einsetzte. Die hunderttausende von Toten in Minsk ließen ihm keine Ruhe, er schlief kaum, und wenn er schlief, schrie er im Traum. Er fing an zu trinken, wurde immer niedergeschlagener, redete kaum noch. Wenn er gewusst hätte, wen er alles mit in den Tod genommen hat, vielleicht wäre es eine Befreiung für ihn gewesen. Ich denke inzwischen manchmal, es war besser so, als sich langsam tot zu trinken. Für uns hat er gut gesorgt, hat all das Geld, mit dem sie ihn aus Dank für Minsk überschüttet haben, gut angelegt, wir brauchen uns keine Sorgen zu machen. So geht es mir besser als vielen Kriegerwitwen, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder satt kriegen sollen. Josef ist jetzt fast groß. Er weiß, dass Du sein leiblicher Vater bist,
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