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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli
Autoren: Christian Ditfurth
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scheiden?
    Er zog sich aus, wusch sich und legte sich neben Gawrina. Sie rührte sich nicht, schnarchte, es hörte sich mehr nach Röcheln an. Grujewitsch rief sich die Stationen seiner Deutschlandreise in Erinnerung: Schellenberg, Himmler, die Sphinx Goerdeler. Sie hatten einen großen Sieg errungen. Und er hatte in vorderster Front gekämpft. Morgen würde Berija die Schlacht zu Ende führen. Und dann warteten große Zeiten auf Boris Michailowitsch Grujewitsch.
    ***
    »Da ist er«, sagte Gottlieb leise.
    »Schön, schön, dann schauen wir mal, was er anstellt.« Krause nahm das Mikrofon des Funkgeräts vor den Mund und befahl den Einheiten der SD-Bereitschaft, das Haus der Zachers weiträumig zu umstellen. Die Beamten sollten vorsichtig sein und nicht auffallen. Die gesuchte Person sei sofort festzunehmen, wenn sie das Haus Nummer 56 wieder verlasse. »Wir brauchen ihn lebend«, hämmerte Krause seinen Leuten ein.
    Krause und Gottlieb duckten sich im Fahrerhaus, als Werdin auf der anderen Straßenseite am Laster vorbeiging. Er warf nur einen flüchtigen Blick auf die Baustelle. Sie setzten sich wieder gerade hin und spähten durch ihre Ferngläser. Sie sahen, wie Werdin am Haus Nr. 56 hielt, er las das Klingelschild, zögerte und drückte auf die Klingel. Die Tür wurde geöffnet, Irma von Zacher war kurz zu sehen. Krause erkannte den Schrecken in ihrem Gesicht, dann winkte sie Werdin ins Haus und schloss die Tür von innen.
    Sein Herz schlug schneller. Er fühlte das Pochen im Hals. Er blickte kurz zu dem Bauwagen auf der anderen Straßenseite, dann las er wieder die Hausnummern. 48, 50, 52, 52a, 54, 56. Es war ein bescheidenes zweistöckiges Haus, Regen und Sonne hatten die Fassade gebräunt. Am Gartentor las er das Klingelschild: Helmut von Zacher. Es war tatsächlich der Fliegerheld. Wir sind beide verstrickt in den Massenmord, wir lieben beide dieselbe Frau. Dialog mit einem Abwesenden. Er drückte einmal auf die Klingel, kräftig, um seine Unsicherheit zu verdrängen. Dann öffnete er das Gartentor und ging zur Haustür. Er stand auf der ersten Treppenstufe, als die Tür sich öffnete. Irma. Sie schlug die Hand vor den Mund, ihre Augen starrten ihn an. Sie wurde mit einem Mal wachsbleich. Einen Augenblick hatte er Angst, sie könnte ohnmächtig werden. Sie winkte ihn mit einer leichten Handbewegung hinein. Als er im Flur stand, schloss sie die Tür. Sie standen sich gegenüber und schauten sich an.
    »Warum hast du mir geschrieben?«, fragte Werdin endlich.
    Sie öffnete ihren Mund, aber es kam kein Laut.
    »Warum?«
    »Ich dachte, du wärst tot. Gestorben bei einem Autounfall.«
    »Du hast mir geschrieben, weil du dachtest, ich sei tot?«
    »Ja.«
    Er ging auf sie zu und wollte sie umarmen. Sie ließ es zu, lehnte kurz ihren Kopf an seine Brust. Dann entwand sie sich ihm und sagte: »Nein.« Sie drehte sich weg und ging in die Küche. Werdin folgte ihr. Sie setzten sich an den Tisch, schauten sich an. Irmas Augen glänzten. Mit einem Taschentuch wischte sie eine Träne aus dem Augenwinkel.
    »Du hast mir geschrieben, weil du geglaubt hast, ich sei tot?«
    »Ja«, sagte Irma. »Sonst hätte ich dir nicht geschrieben. Wie kommst du hierher? Warum kommst du? Wenn die SS dich fasst, bringt sie dich um.«
    »Ich komme, weil du mir geschrieben hast.«
    »Dann stirbst du also nicht bei einem Unfall, sondern weil ich dir geschrieben habe«, sagte Irma. Es klang wie eine sachliche Feststellung.
    »Ich habe nicht die Absicht zu sterben«, sagte Werdin. »Und jetzt schon gar nicht. Bisher habe ich nämlich dich für tot gehalten und gefürchtet, dein Brief sei eine Fälschung, mit der sie mich nach Deutschland locken wollten, um mich zu fangen.«
    »Der Brief ist keine Fälschung und doch eine. Ich habe ihn geschrieben, weil ich sicher war, du würdest nicht kommen. Tote reisen nicht.«
    Sie erzählte ihm, wie sie überlebt hatte und warum sie ihm einen Brief schrieb.
    »Schellenberg also«, sagte Werdin. Ihm war klar, sie würden Zachers Haus überwachen. Sie wollten, dass er kam. Er war gekommen. Und jetzt wollten sie ihn greifen. Er stand auf und schaute aus dem Fenster. Die Küche ging zur Straße hinaus, links sah er das Baufahrzeug. Entweder sie hatten sich als Bauarbeiter getarnt, oder sie hatten ein Haus in der Nachbarschaft gemietet. Vielleicht auch beides. Er war verloren. Das Einzige, was ihn wunderte, war die Ruhe, die ihn im Moment der Erkenntnis erfasste. Als hätte er seine Erfüllung gefunden. So fand
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