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Denn das Glueck ist eine Reise

Denn das Glueck ist eine Reise

Titel: Denn das Glueck ist eine Reise
Autoren: Caroline Vermalle
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gefahren, weißt du noch?«
    »Ja, nach Peru. Sie hat es mir gesagt.«
    »Na ja, ich wollte nur, dass du weißt, dass du mich jederzeit anrufen kannst, wenn du ein Problem hast. Ich könnte dich besuchen.«
    »Ja gut.«
    »Hast du verstanden, Opa? Solange Mama in Urlaub ist, kannst du mich jederzeit anrufen«, beharrte Adèle, der die fehlende Begeisterung wenig ausmachte.
    »Ja gut, in Ordnung«, erklärte ihr Großvater höflich.
    »Hast du meine Telefonnummer, Opa?«
    »Ja, deine Mutter hat sie mir gegeben. Aber Adèle, du bist doch noch in London, mein Kind, oder?«
    »Ja, aber mach dir deshalb keine Sorgen. Das ist gar nicht so weit. Ich nehme den Zug, dann bin ich schnell da«, behauptete Adèle.
    »Ja, du fährst bis Poitiers mit dem Zug, und dann nimmst du den Bus.«
    »Genau«, sagte Adèle, die keine Ahnung hatte, denn sie hatte ihren Großvater seit fast zehn Jahren nicht mehr besucht.
    »Und wie lange dauert es insgesamt?«
    »Hm, ich weiß nicht, einen halben Tag oder vielleicht auch etwas länger«, überlegte Adèle. Sie nahm an, dass es sogar noch länger dauerte. Ihr Großvater wohnte in einem winzigen Dorf in der Nähe von Chanteloup, in einer von Wallhecken durchfurchten Landschaft im Department Deux-Sèvres.
    »Ja gut. Das wird wohl nicht nötig sein. Dann mach’s gut. Tschüs!«
    »Warte, Opa. Du hast doch das Handy noch, das Mama dir geschenkt hat?«
    »Ach, weißt du ... diese Handys ...«, sagte ihr Großvater, für den die neuen Errungenschaften der Technologie schlichtweg ein Unding darstellten. Adèle war froh, dass er Telefongespräche nur tolerierte, wenn sie sehr kurz waren und man sich an das Wesentliche hielt. Und eine Schimpftirade über den technologischen Fortschritt gehörte – zumindest heute – nicht dazu.
    »Du hast es aber noch, oder?«, beharrte Adèle.
    »Ja, schon ...«
    »Okay, dann achte darauf, dass es immer griffbereit liegt! Und wenn was sein sollte, rufst du mich an.«
    »Na ja, es wird schon nichts sein. Tschüs, meine kleine Adèle«, sagte ihr Großvater und legte auf.
    Nein, natürlich nicht. Was sollte schon sein? Ein schwaches Herz seit einem Infarkt 1995, dann ein Herzschrittmacher, ein Knie, das jeden Augenblick schlappzumachen drohte, und eine Raucherlunge von vierzig Jahren Gitanes. Aber er drehte immer noch seine kleinen Runden zu Fuß, aß wie ein Scheunendrescher, hielt seinen Garten in Schuss und pfiff ein Liedchen, wenn er das Geschirr spülte. Und er hatte immer noch genug Elan, um seine Ärzte in wüsten Tönen zu beschimpfen, die ihm regelmäßig nur noch ein paar Monate zu leben gaben, und das seit bald fünfzehn Jahren. Das jedenfalls hatte Françoise, die Mutter von Adèle, erzählt, denn Adèle selbst hatte nur sehr sporadisch Kontakt zu ihrem Großvater. Gewissensbisse plagten sie deswegen nicht, denn Georges Nicoleau hatte, in seiner feinfühligen und zurückhaltenden Art, immer wieder betont, dass er niemanden wolle, der ihm »auf den Wecker geht«.
    Adèle steckte das Handy in die Tasche ihrer Cargohose. 19.23 Uhr. Sie wartete mindestens schon eine Viertelstunde mitten auf der Straße. Der Abend war noch mild an diesem Septembertag, und durch die Brick Lane im Osten Londons hallte das Lachen Betrunkener, die sich im gut besuchten Swan Pub vergnügten. Adèle hatte dieses Viertel nie gemocht, obwohl ihre Freunde ihr versichert hatten, es sei unglaublich angesagt. An den seltenen sonnigen Tagen bewunderte sie die Farben und probierte ab und zu die Spezialitäten, die in den kleinen exotischen Läden angeboten wurden. Doch an trüben Tagen belästigte alles hier ihre Sinne: der Geruch von Curry, der Müll, das Geschrei der Kellner vor den indischen Restaurants und die tristen schmutzigen Fassaden. Dennoch war sie seit mehr als einem Monat gezwungen, an diesem Ort endlos lange Tage und manchmal sogar Nächte zu verbringen. Denn in diesem Viertel befand sich der einzige Drehort – in einer Straße, deren Schild ins Sanskrit übersetzt worden war: ein großes, dreistöckiges Steinhaus, von derselben grauen Farbe wie der Himmel über England. Man hätte es normalerweise kaum wahrgenommen, inmitten der alten Lagerhäuser und in dieser kleinen, düsteren Straße, in der sich häufig Junkies und ab und zu betrunkene Mädchen herumtrieben. Adèle stand vor dem Eingang. Drinnen herrschte schon reges Treiben. Sie seufzte und schaute wieder auf die Uhr. 19.27 Uhr. Ihr Arbeitstag begann, und er begann schlecht.
    Sie zog das Blatt mit den
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