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Denn das Glueck ist eine Reise

Denn das Glueck ist eine Reise

Titel: Denn das Glueck ist eine Reise
Autoren: Caroline Vermalle
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nicht auf dem Flur standen. Als sie sah, dass sie mit dem Toten beschäftigt waren, zog sie ihr Handy aus der Tasche und öffnete die SMS, die sie soeben erhalten hatte.
    Adèle hielt sich das Handy direkt unter die Nase, um sich zu vergewissern, dass sie richtig gelesen hatte. Sie konnte nicht verhindern, dass ihr ein leiser, erstickter Schrei entfuhr und ihr das Handy aus der Hand glitt. Mit einem lauten Knall fiel es auf den Holzboden des alten Hauses. Alle Anwesenden zuckten zusammen und drehten sich zu Adèle um. Sofort darauf drang eine wütende Stimme aus dem Schlafzimmer.
    »SCHNITT! SCHNITT! Herrgott noch mal! Was ist denn da los?«, rief der Erste Regieassistent, als er in den Flur stürmte.
    »Es tut mir furchtbar leid, John, ich ... «, stammelte Adèle.
    Die ganze Filmcrew einschließlich der Schauspieler drehte sich zu Adèle, wandte sich aber rasch wieder anderen Dingen zu. Das passierte oft, und es war für alle eine Gelegenheit, sich zwei Minuten lang zu entspannen.
    »Konzentration, Leute! Es ist die letzte Szene«, schrie John der Mannschaft zu. »Der Champagner wartet auf uns. Strengt euch noch einmal an! One last push, chaps .« Der Regisseur nutzte die Gelegenheit, um den Schauspielern ein paar Anweisungen zuzuflüstern. Der Tote rieb sich schnell am Auge und scherzte mit der alten Tante. Der Aufnahmeleiter veränderte die Einstellung der Scheinwerfer, und dann fuhren alle mit der fünften Aufnahme fort.
    Es war der letzte Tag der Dreharbeiten. Agatha Christies Roman Das krumme Haus wurde für das englische Fernsehen verfilmt. Das erste Kapitel, die Entdeckung eines Mordes, war bereits am ersten Tag, vor einem Monat, gedreht worden, musste aber nachgedreht werden. Es war die letzte noch fehlende Szene, und alle hofften, dass es auch die letzte sein würde. Anschließend sollte gefeiert werden.
    »Ruhe, Ruhe, bitte! Kamera ab. Achtung … und Action!« Adèle hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Sie hielt das Handy noch immer fest umklammert. Zum ersten Mal empfand sie die Stille am Set wie einen Segen. Es war ihr furchtbar peinlich, dass sie das Handy hatte fallen lassen; überdies stand sie noch immer unter Schock. Sie wagte es nicht, die SMS noch einmal zu lesen. Schließlich fand sie den Mut, die Finger zu lockern und den Kopf zu senken.
    Hrzlchn Glckwnsch zm Gbrtstg AdL – dn Opa, dr dch shr lb ht
    (Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Adèle – dein Opa, der dich sehr lieb hat.)
    Es gelang ihr, die Tränen zu unterdrücken, nicht aber das Lächeln, das ihr Gesicht erhellte und bei dem ihr wieder ganz warm ums Herz wurde. Denn diese kurze Nachricht mit der sonderbaren Orthografie, die ihr einen jugendlichen Touch geben sollte, war außergewöhnlich. Fast poetisch und so zärtlich. Und natürlich ganz und gar unmöglich.
    Es gibt Dinge im Leben, die man gern für sich behält. Andere wiederum möchte man am liebsten mit der ganzen Welt teilen. Diese SMS gehörte zur letzten Kategorie. Diese Geschichte musste einfach heraus, und Adèle war gerührt und ungeduldig zugleich.
    Es wurde entschieden, eine sechste Aufnahme zu machen. Doch Adèle verfolgte die Dreharbeiten nicht mehr. Sie dachte über ihre Geschichte nach. Sicher, sie war nicht besonders lang, aber sie musste alles erzählen, um zu erklären, warum diese kurze SMS so unglaublich war. Ja, alles erzählen, von dem Augenblick an, als alles begann – vor etwa einem Monat, am 18. September. Ein Monat war nicht lang, und dennoch hatten sich Herzen geöffnet, Koffer waren geschlossen worden und Tränen geflossen, wo man sie nicht mehr erwartet hatte. Und während sich im anderen Zimmer zum sechsten Mal ein Drama abspielte, nutzte Adèle diesen letzten stillen Moment, um sich zu erinnern. Im Dämmerlicht des Korridors konnte sie sich den Film des letzten Monats vor Augen führen, der ihr Leben ein wenig, das anderer Menschen hingegen sehr verändert hatte.

Donnerstag, 18. September

    Chanteloup (Deux-Sèvres)
    ....................
    Nach dem zehnten Klingeln hob endlich jemand ab.
    »Hallo?«, meldete sich eine leicht zittrige Stimme.
    »Hallo Opa, hier ist Adèle.«
    »Hallo?«, sagte der alte Mann noch einmal.
    »Opa?«
    »Ja?«
    »Ich bin’s, Adèle!«
    »Ah, mein liebes Kind, wie geht’s dir?«
    »Gut, und dir?«
    »Mir? Ach, weißt du ...«, antwortete er in diesem lustlosen Ton, den er am Telefon häufig anschlug. »Und warum rufst du an?«
    »Tja ... hm ... Mama hat es dir doch erklärt. Sie ist in Urlaub
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