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Denn das Glueck ist eine Reise

Denn das Glueck ist eine Reise

Titel: Denn das Glueck ist eine Reise
Autoren: Caroline Vermalle
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gibt da nämlich ein Problem. Du kennst doch meine Enkeltochter Adèle, die jetzt dort drüben in London ist. Sie hat mich heute Abend angerufen.«
    Natürlich kannte Charles Adèle. Georges hatte nur eine Enkeltochter, keinen Enkelsohn. Da war kein Irrtum möglich. Er hingegen hatte eine so große Sippschaft, dass er die Vornamen jedes Mal völlig durcheinanderwarf. Und dann diese Manie, dass schon das junge Gemüse sich fortpflanzte. Er hatte achtzehn Enkelkinder und vier Urenkel. Und dabei würde es wohl kaum bleiben, wenn es dem lieben Gott gefiel.
    »Ach ja? Läuft es nicht gut in London?«, fragte Charles besorgt.
    »Doch, doch, es ist alles in Ordnung. Das ist nicht das Problem ... Sie macht sich Sorgen«, erklärte Georges ihm.
    »Versteh ich nicht. Sie macht sich Sorgen ... um dich? Ausgerechnet heute? Was ist denn los mit ihr?«
    »Ja, zuerst hab ich mich auch gewundert. Aber dann hab ich mir überlegt, dass es wohl ihre Mutter ist, die sich Sorgen macht. Darum hat sie ihre Tochter vermutlich beauftragt, tja, wie soll ich sagen, auf mich aufzupassen.«
    »Verdammt! Ich muss schon sagen, deine Frauen haben wirklich ein Gespür für den ungünstigsten Zeitpunkt!«
    »Du sagst es.«
    »Sie kommt doch wohl nicht her?«
    »Nein, nein, das ist nicht ihre Art. Und falls sie es sich doch einfallen lassen sollte – ich hab das mal ausgerechnet –, würde sie mindestens dreizehn Stunden von London brauchen. Nein, nein, was mir Sorgen macht, ist, dass sie mich anrufen wird. Da bin ich mir ziemlich sicher. Ich meine jetzt nicht, jeden zweiten Tag, aber es würde mich nicht wundern, wenn ihre Mutter sie beauftragt hätte, mich einmal pro Woche anzurufen. Und wenn ich dann ein- oder zweimal nicht abhebe, gibt´s Theater, und Françoise wird sich schnell wieder von ihren peruanischen Bergen verabschieden. Da ich fast zwei Monate weg sein werde, kannst du dir garantiert gut vorstellen, was dann für ein Durcheinander entsteht.«
    »Damit hätten wir rechnen müssen«, schimpfte Charles, der versuchte, seine Wut zu zügeln. »Es wäre ja auch zu schön gewesen, dass deine Tochter für zwei Monate ans Ende der Welt fährt, ohne dich anzurufen oder sich irgendwie zu melden. Offen gesagt, konnte ich es zuerst gar nicht recht glauben. Ja, und an den Schachzug mit deiner Enkeltochter, da haben wir nicht dran gedacht.«
    Sie hatten so manches Mal über seine einzige Tochter Françoise gesprochen. Seit ihrer Scheidung und dem Tod ihrer Mutter vor sechs Jahren wich sie ihrem Vater kaum von der Seite. Sie hielt ihn – zu Recht oder zu Unrecht – für schwer krank und behandelte ihn fast wie ein Kind. Und dann, ganz plötzlich, hatte sie Lust bekommen, in die Anden zu fliegen, um sich einer anstrengenden Expedition in die abgelegene Bergwelt anzuschließen. An sich wunderte sich niemand darüber. Sie reihte Marathonläufe, Trekking-Touren und andere Freizeitvergnügen reicher Leute aneinander. Aber immer, wenn sie verreiste, rief sie trotz Zeitverschiebung fast jeden Abend ihren Vater an. Diesmal hingegen hatte sie für volle zwei Monate Funkstille angekündigt. Damit hatte niemand gerechnet, aber Georges und Charles hatten die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, um − jetzt oder nie − diesen alten Plan endlich in die Tat umzusetzen. Und eine Woche vor ihrer Abfahrt standen sie nun vor einem Dilemma.
    Georges spürte, dass ihn schnell, sehr schnell Mutlosigkeit erfasste, als breche eine Flutwelle über ihn herein. Wenn sogar Charles den Glauben an ihren Plan verlor, waren sie erledigt. Als der Deckel des Kessels klapperte, rappelte Charles sich auf und goss schweigend den Kräutertee ein.
    »Ich weiß, dass wir schon darüber gesprochen haben, aber trotzdem, Georges ... Bist du sicher, dass du es deiner Tochter und deiner Enkelin nicht sagen willst?«, fragte er schließlich, ohne den Blick von seiner Tasse abzuwenden.
    »Nein, Herrgott noch mal! Fang nicht schon wieder damit an! Wenn Françoise es erfährt ... Du kennst sie doch, Charles. Die steckt mich sofort in ein Altenheim, wo man mir jede Viertelstunde eine Spritze verpasst, und jedes Mal, wenn ich pinkeln muss, werde ich von einer Eskorte begleitet. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Wenn sie könnte, würde sie mich in Watte packen. Inzwischen müsste sie schon in den Anden herumkraxeln. Und sie hat mir versichert , verstehst du, ver-si-chert  – sie ist mir damit richtig auf die Nerven gegangen –, dass sie mich zwei Monate lang auf gar keinen
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