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Denn das Glueck ist eine Reise

Denn das Glueck ist eine Reise

Titel: Denn das Glueck ist eine Reise
Autoren: Caroline Vermalle
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anstehenden Terminen aus einer anderen Tasche ihrer Cargohose und las es zum dritten Mal durch: Der Hauptdarsteller wurde um 19.30 Uhr in der Maske erwartet. Neben seinem Namen war ihrer aufgeführt: Adèle Montsouris. Es war seltsam, diese beiden Namen nebeneinander zu sehen, denn sie beide nahmen in der Hackordnung der Fernsehbranche völlig entgegengesetzte Positionen ein: Er, der Star historischer Filme der BBC, verdiente gut und gerne ein paar Millionen, während sie, Adèle, zweiundzwanzig, ganz unten angesiedelt war und – selbstverständlich unentgeltlich – als Regiepraktikantin »Erfahrungen sammelte«. Sie servierte der Crew Tee und Kaffee, rief Taxis, diente den Schauspielern jeden Alters als Babysitter, kam als Erste ins Studio und ging als Letzte: Das waren sie, die Erfahrungen, die Adèle seit drei Filmen gesammelt hatte, ohne einen einzigen Penny dafür zu sehen. Die Erwähnung ihres Namens neben dem des Hauptdarstellers bedeutete, dass es dem Ersten, dem Zweiten, dem Stellvertretenden Zweiten und dem Dritten Regieassistenten zustand, ihr die Schuld zu geben, wenn der Schauspieler zu spät erschien. Da bei den Dreharbeiten viel geschrien wurde, musste sie die Taxifahrer ebenfalls anschreien und sich schnell einen Plan B einfallen lassen, die Maske informieren und so weiter. Der dritte Drehtag hatte kaum begonnen, als Adèle spürte, dass sie sich beim Gedanken an die nächste unausbleibliche Katastrophe völlig verspannte. Da die beiden vorangegangenen Tage schon besonders schwierig gewesen waren, vergaß Adèle schnell ihren Großvater in der Ferne, mit dem sie soeben gesprochen hatte.
    Er hingegen vergaß sie nicht. Ihr Anruf hatte gerade alles, aber auch wirklich alles auf den Kopf gestellt.

    Georges Nicoleau blieb eine ganze Weile perplex neben dem Telefon in der Diele stehen.
    »Verdammt«, rief er laut. »Verdammt, verdammt, verdammt! Verflixt und zugenäht!«
    Es war nicht etwa so, dass er sich nicht über Adèles kurzen Anruf gefreut hätte. Doch, der Anruf war Balsam für seine Seele gewesen und hatte seine Lebensgeister geweckt. Seit der Scheidung ihrer Eltern hatte seine Enkeltochter ihn nicht mehr besucht. Das musste also, hm, fast zehn Jahre her sein. Sie hatte ihm die traditionellen Neujahrsgrüße geschickt und ein paar Postkarten, als sie ihr Praktikum in London begonnen hatte. Sie hingen übrigens alle da, mit Reißzwecken an die verblichene Tapete geheftet, neben dem Kalender der Feuerwehr von 2008, über dem Telefontischchen. Er hatte sich sehr über die Karten gefreut und Arlette ebenfalls. Arlette ... Ihr hatte besonders diese Karte dort gefallen, die mit dem Foto des Big Ben in Schwarz-Weiß. Sie fand die Aufnahme sehr gelungen. Na ja. London hatte offenbar schnell den Reiz des Neuen verloren, denn Adèle hatte keine weiteren Ansichtskarten geschrieben und selten angerufen. Über den Anruf heute Abend hatte er sich zwar maßlos gefreut, aber er stellte ihn auch vor ein verdammt großes Problem.
    All seine Pläne und die von Charles würden nun scheitern. Er musste noch heute Abend mit seinem Komplizen darüber sprechen. Es traf sich gut, dass weder Mittwoch noch Samstag war. Also würde er höchstwahrscheinlich heute Abend, wenn die Wettervorhersage begann, zum Gute-Nacht-Tee kommen.
    Georges ging gemächlichen Schrittes ins Wohnzimmer zurück, den immer gleichen Weg, den er auch im Schlaf gefunden hätte. Seine große, vom Alter leicht gebeugte Gestalt passte genau unter den Deckenbalken des kleinen Hauses hindurch. Diese Balken hatten ihn seit seinem sechzehnten Lebensjahr geärgert. Letztlich hatte es also doch Vorteile, alt zu sein, denn jetzt stieß er nicht mehr mit dem Kopf dagegen. Das Alter war ein wenig überraschend über ihn hereingebrochen, denn im Grunde fühlte er sich noch jung. Und was seine körperliche Verfassung anbelangte, so fand er sich − falls er überhaupt mal drüber nachdachte – für einen Opa von dreiundachtzig nicht allzu klapprig. Erstens hatte er noch jede Menge Haare, die unter der Baskenmütze hervorlugten. Es war nicht mehr der dichte Schopf von einst, aber er hielt sich wacker. Außerdem trug er Jeans und Reeboks – natürlich der Bequemlichkeit und nicht etwa der Mode halber, die ihm entschieden gleichgültig war. Und vor allem sein Gedächtnis, das funktionierte noch einwandfrei. Er steckte nicht nur alle anderen Alten des Seniorenklubs in die Tasche, sondern konnte sich auch mit jedem jungen Spund messen. Ja sicher, sein Herz,
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