Denkanstöße 2013
mein Sohn solche nicht lernen.« Dass Latein immer noch zum klassischen Bildungskanon gehörte, kümmerte den »Soldatenkönig« wenig. Das sah der Lehrer des Kronprinzen, der Hugenotte Jacques Ãgide Duhan de Jandun (1685â1746), anders und lieà diesem heimlich Lateinunterricht erteilen. Und dann kam, was kommen musste, wie sich Friedrich der GroÃe noch als König inmitten des Siebenjährigen Krieges mit Schaudern erinnerte: »Ich deklinierte mit meinem Lehrer: mensa , ae , dominus , i , ardor , ris , als plötzlich mein Vater ins Zimmer trat. âºWas machst du da?â¹Â â âºPapa, ich dekliniere mensa , ae â¹, sagte ich in kindlichem Tone, der ihn hätte rühren müssen. âºO du Schurke, Latein für meinen Sohn! Geh mir aus den Augen!â¹ Und er verabreichte meinem Lehrer eine Tracht Prügel und FuÃtritte und beförderte ihn auf diese grausame Weise ins Nebenzimmer. Erschreckt durch diese Schläge und durch das wütende Aussehen meines Vaters, verbarg ich mich, starr vor Furcht, unter dem Tische, wo ich in Sicherheit zu sein glaubte. Ich sehe meinen Vater nach vollbrachter Hinausbeförderung auf mich zukommen â ich zittere noch mehr; er packt mich bei den Haaren, zieht mich unter dem Tische hervor, schleppt mich so bis in die Mitte des Zimmers und versetzt mir endlich einige Ohrfeigen: âºKomm mir wieder mit deiner mensa , und du wirst sehen, wie ich dir den Kopf zurechtsetze.â¹Â« Was Friedrich Wilhelm I. so sehr in Rage gebracht hatte, war die â wie er es sah â Nutzlosigkeit der Beschäftigung seines Sohnes. »Was habe ich davon?«, war die erste Frage, die der König bei allem zu stellen pflegte. Daran war alles zu bemessen. Und im Falle des Lateinischen war die Antwort aus seiner Sicht klar: Nichts!
Für den »Soldatenkönig« gab es nichts Schlimmeres als MüÃiggang: »Parol in dieser Welt ist nichts als Mühâ und Arbeit, und wo man nicht ⦠die Nase in allen Dreck selber steckt, so gehen die Sachen nicht, wie sie gehen sollen, denn auf die meisten Bediensteten kann man sich nicht verlassen, wenn man nicht selbst danach sieht.« So wie er selbst sollten auch alle seine Untertanen ihre Pflicht erfüllen, ohne zu »räsonniren« (zu klagen). Schon als Kind war er sparsam bis zum Geiz; jede noch so geringfügige Rechnung hielt er in einem penibel geführten Ausgabenbuch fest. Am glücklichsten war Friedrich Wilhelm, wenn er mit seinen Soldaten exerzieren konnte. Nichts erfreute ihn mehr als der Anblick eines hochgewachsenen Grenadiers. Die Lustgärten in Potsdam und Berlin verwandelte er in Exerzierplätze. Hölzerne Stühle zog er dick gepolsterten Sesseln vor, und in einer Zeit, in der die Angst vor dem als Krankheitsüberträger gefürchteten Wasser verbreitet war, wusch er sich täglich mehrmals mit kaltem Brunnenwasser. Auf Reisen machte es ihm nichts aus, in Scheunen zu übernachten. Vergnügungen der barocken Art, wie sie seine Eltern, König Friedrich I. (1657â1713) und Königin Sophie Charlotte (1668â1705), geliebt hatten, waren ihm ein Gräuel. In einer Instruktion mahnte er seinen Nachfolger 1722: »Mein lieber Successor muss auch nicht zugeben, dass in seinen Ländern und Provinzen Komödien, Operas, Ballettes, Maskeraden, Redouten [Maskenbälle mit Tanz] gehalten werden, und ein Gräuel davor haben, weil es gottlos und teuflisch ist, da dadurch Satanas sein Tempel und Reich vermehret werden.«
Seine Ablenkungen waren einfach gestrickt: Er liebte die Jagd und sein abendliches Tabakskollegium, eine bierselige, rauchgeschwängerte Männerrunde, in der sich der König im Kreis echter und vermeintlicher Freunde ein wenig Entspannung von der ihn förmlich auffressenden täglichen Pflichterfüllung gönnte. In dieser Gesellschaft wollte der König »nur als Privatmann erscheinen« und verbot daher »jede zeremonielle BegrüÃung â¦, so dass ⦠niemand aufstehen durfte, wenn er eintrat«. Jeder Teilnehmer der Runde »hatte die Erlaubnis, sich nach seiner Denkungsart mit ungeschminkten Worten auszudrücken, wenn er nur bei der Wahrheit blieb«. Unterstrichen wurde der beabsichtigte zwanglose Charakter dieser Veranstaltung auch dadurch, dass keine Diener im Raum waren. Jeder Gast musste sein Bier selbst einschenken; den Salat, der zu Butterbroten und
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