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Denkanstöße 2013

Denkanstöße 2013

Titel: Denkanstöße 2013
Autoren: Isabella Nelte
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Kirche. So habe ich mich schließlich entschlossen, statt einzelner Kolumnen und Artikel eine kompakte zusammenfassende Schrift zu verfassen, die darlegt und begründet, was sich als meine überprüfte Einsicht in den Kern der Krise herausstellt: Die katholische Kirche , diese große Glaubensgemeinschaft, ist ernsthaft krank , sie leidet unter dem römischen Herrschaftssystem , das sich im Lauf des zweiten Jahrtausends gegen alle Widerstände etabliert und bis heute durchgehalten hat. Es ist charakterisiert durch ein Macht- und Wahrheitsmonopol, durch Juridismus und Klerikalismus, Sexual- und Frauenfeindschaft sowie geistlich-ungeistliche Gewaltanwendung. Dieses System trägt zwar nicht die alleinige, aber doch die Hauptverantwortung an den drei großen Spaltungen der Christenheit: die erste zwischen West- und Ostkirche im 11. Jahrhundert, die zweite in der Westkirche zwischen katholischer und protestantischer Kirche im 16. Jahrhundert und schließlich im 18./19. Jahrhundert die dritte Spaltung zwischen römischem Katholizismus und aufgeklärter moderner Welt.
    Doch sei sofort angemerkt: Ich bin ökumenischer Theologe und keineswegs papstfixiert . In »Das Christentum. Wesen und Geschichte« (1994) habe ich auf gut tausend Seiten die verschiedenen Perioden, Paradigmen und Konfessionen in der Geschichte des Christentums analysiert und dargestellt, und da lässt sich nun einmal nicht bestreiten, dass das Papsttum das zentrale Element des römisch-katholischen Paradigmas ist. Ein Petrusamt, wie es sich aus den Ursprüngen entwickelte, war und bleibt für viele Christen eine sinnvolle Institution. Aber seit dem 11. Jahrhundert wurde daraus immer mehr ein monarchisch-absolutistisches Papsttum , das die Geschichte der katholischen Kirche beherrschte und zu den genannten Spaltungen der Ökumene führte. Die trotz aller politischen Rückschläge und kulturellen Niederlagen ständig zunehmende innerkirchliche Macht des Papsttums stellt das entscheidende Merkmal der Geschichte der katholischen Kirche dar. Die neuralgischen Punkte der katholischen Kirche sind seither nicht so sehr die Probleme der Liturgie, der Theologie, der Volksfrömmigkeit, des Ordenslebens oder der Kunst, sondern es sind die in der traditionellen katholischen Kirchengeschichte zu wenig kritisch herausgearbeiteten Probleme der Kirchenverfassung. Gerade diese werde ich hier, auch wegen ihrer ökumenischen Sprengkraft, mit besonderer Sorgfalt behandeln müssen.
    Joseph Ratzinger , der jetzige Papst, und ich waren die beiden jüngsten offiziellen Berater des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 – 65), das versuchte, dieses römische System in wesentlichen Punkten zu korrigieren. Dies aber gelang wegen des Widerstands der römischen Kurie leider nur teilweise. In der nachkonziliaren Zeit machte Rom die Erneuerung dann auch mehr und mehr rückgängig, was in den letzten Jahren zum offenen Ausbruch der schon längst wuchernden bedrohlichen Erkrankung der katholischen Kirche führte.
    Die Skandale um Sexualmissbrauch im katholischen Klerus sind nur das jüngste Symptom. Sie haben einen solchen Umfang angenommen, dass in jeder anderen großen Organisation eine intensive Erforschung der Gründe für eine derartige Tragödie eingesetzt hätte. Nicht so in der römischen Kurie und im katholischen Episkopat. Zuerst gestanden sie ihre eigene Mitverantwortung für die systematische Vertuschung dieser Fälle nicht ein. Dann zeigten sie – von wenigen Ausnahmen abgesehen – auch kein großes Interesse daran, die tieferen historischen und systemischen Gründe für eine derartig verheerende Fehlentwicklung herauszufinden.
    Die bedauerliche Uneinsichtigkeit und Reformunwilligkeit der gegenwärtigen Kirchenleitung zwingt mich dazu, die historische Wahrheit von den christlichen Ursprüngen her gegen all die gängigen Vergesslichkeiten, Verschleierungen und Vertuschungen offen darzustellen. Dies wird gerade für historisch wenig informierte und traditionelle katholische Leser und vielleicht auch Bischöfe desillusionierend wirken. Wer sich bisher noch nie ernsthaft mit den Tatsachen der Geschichte konfrontiert sah, wird bestimmt manchmal darüber erschrecken, wie es da allenthalben zuging, wie viel an den kirchlichen Institutionen und Konstitutionen – und an der zentralen römisch-katholischen Institution des Papsttums ganz besonders –
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