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Denkanstöße 2013

Denkanstöße 2013

Titel: Denkanstöße 2013
Autoren: Isabella Nelte
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dagewesenen peinlichen Zeremonie zu Beginn der feierlichen Messe vom Dekan des Kardinalkollegiums, Kardinal Angelo Sodano , dem früheren Staatssekretär, seine Unschuld »urbi et orbi« attestieren. Dabei war gerade Sodano selber wegen peinlicher Verwicklungen in die öffentliche Kritik geraten. Der Papst hat die Missbrauchsfälle zwar immer wieder bedauert, zu seiner persönlichen Verantwortung jedoch hat er geschwiegen, wie auch viele Bischöfe geschwiegen haben. Auch im neuesten Papstbuch »Licht der Welt« nimmt er zu seiner Rolle keine Stellung. Das ist kein Zufall, sondern strukturbedingt.
Von der »winterlichen« zur kranken Kirche
    Schon bald nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hatte der große Konzilstheologe Karl Rahner das Wort von der »winterlichen« Kirche geprägt, das von vielen aufgenommen wurde. Und als ihm der erste Romano-Guardini-Preis verliehen wurde, wagte er es beim Festakt in München am 18. März 1970, die »institutionalisierte Mentalität« der Bischöfe als »feudalistisch, unhöflich und paternalistisch« zu charakterisieren. Mit zwei Ausnahmen hatten diese nämlich ein von ihm verfasstes und von anderen Theologen mit unterzeichnetes vertrauliches »Memorandum zur Zölibatsdiskussion« nicht einmal durch eine Empfangsbestätigung gewürdigt.
    Die beim Festakt anwesenden Kardinäle Julius Döpfner und Hermann Volk und weitere Bischöfe zeigten über Rahners Worte nicht etwa Besinnung, gar Zerknirschung, vielmehr Unverständnis, Zorn und Wut. Ab diesem Zeitpunkt war Karl Rahner auch bei diesen als fortschrittlich geltenden Kirchenmännern nicht mehr »persona grata«. Und für den kommenden Bischof und Kardinal Karl Lehmann , früher Karl Rahners Assistent, »wird an diesem Tag klar, dass sein Weg in der Kirche nicht der seines theologischen Lehrers K. Rahner sein könne« (so sein autorisierter Biograph Daniel Deckers). Dem Jesuiten Karl Rahner, der papsttreu noch 1968 die Zölibatsenzyklika Pauls VI. im Auftrag von Kardinal Döpfner publizistisch durch einen massenhaft verbreiteten Offenen Brief an den Klerus wirksam unterstützt hatte, wurden jetzt wie mir später »provozierende Formulierungen, peinliche Bloßstellung, Skandalisierung – all die medienwirksamen Instrumente öffentlicher Inszenierung von Konflikten und Kontroversen« vorgeworfen. Seither waren Zwangszölibat und wachsender Priestermangel für die Deutsche Bischofskonferenz erst recht tabuisiert und blieben es auch unter dem Vorsitz Lehmanns – bis zum Ruchbarwerden der zahllosen vertuschten Fälle von sexuellem Missbrauch unter dem Vorsitz von Lehmanns Nachfolger Erzbischof Robert Zollitsch .
    Karl Rahner starb in winterlicher Resignation im Jahr 1984 – ohne unter einem neuen Papst einen neuen Frühling der Kirche erlebt zu haben. Was würde er wohl zum Zustand seiner Kirche 25 Jahre später sagen? Es ist bitter: Unsere gemeinsame Hoffnung auf einen Johannes XXIV. hat sich nicht erfüllt. Sicher würde mir Rahner – nach all den üblen Erfahrungen in drei Jahrzehnten römischer Restauration – zustimmen: An einen baldigen Frühling nach einem eisigen Winter kann man angesichts der Wahl des Chefs der Glaubensinquisition zum Papst und der Kreierung Dutzender neuer konformer Kardinäle nicht mehr glauben, man muss diese Kirche vielmehr als ernsthaft krank bezeichnen. Dabei geht es nicht nur etwa um individuelle, »ekklesiogene, von der Kirche erzeugte Neurosen«, auf die der katholische Psychotherapeut Albert Görres schon vor vielen Jahren hingewiesen hatte. Es geht darüber hinaus um pathologische, krankhafte Strukturen der Kirche selbst, die für viele die Frage nahelegen: Ist diese Kirche nicht vielleicht sterbenskrank, todkrank ?
    In meiner Einschätzung der Lage des Zustands der Kirche fühle ich mich bestätigt durch die mit vielen Umfrageergebnissen untermauerte Analyse von Thomas von Mitschke-Collande , Director Emeritus der Unternehmensberatung McKinsey/Deutschland und selbst engagierter Katholik, vom September 2010, unter dem Titel »Kirche – was nun? Die Identitätskrise der katholischen Kirche in Deutschland«. Fünf Dimensionen des Problems greifen ihm zufolge ineinander und verstärken sich gegenseitig: die Glaubenskrise, die Vertrauenskrise, die Autoritätskrise, die Führungskrise, die
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