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Denkanstöße 2013

Denkanstöße 2013

Titel: Denkanstöße 2013
Autoren: Isabella Nelte
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Raketen und Flugzeugen ständig aufgerüstet hatte, sondern durch inneren Zerfall, Korruption, innere Korrosion. Wenn ich es in die Sprache der Physik übersetzen darf: keine »Explosion«, vielmehr eine »Implosion«, ein schlagartiges Zusammenklappen eines Hohlkörpers (Partei) infolge äußeren (gesellschaftlichen) Überdrucks.
    Ein Prozess, meinte mein Gesprächspartner, der auch in der katholischen Kirche erstaunlich rasch erfolgen könne, wie in den letzten Jahren der Zusammenbruch des früheren Mehrheitskatholizismus in Irland, Spanien, Belgien und sogar Italien zeige. Auch die kritische Entwicklung in Deutschland, wo man den Jubel nach der Wahl Benedikts XVI., »Wir sind Papst«, vielfach ersetzt habe durch Gegenparolen wie »Wir sind nicht Papst« bis hin zu »Wir sind peinlich«! Den deutschen Papst halten laut »Spiegel«-Umfrage vom 6./7. Juli 2010 nur 35 % für eine gute Verkörperung Deutschlands, während der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt auf 83 % kommt.
    Dagegen wandte ich freilich ein, dass man den 2000-jährigen Glauben der Christenheit nicht mit der kaum 70-jährigen kommunistischen Parteiideologie vergleichen könne, die 2000 Jahre kirchliche Institution kaum mit dem 70-jährigen totalitären Sowjetsystem. Der Kreml selber spiegelt die wechselhafte Geschichte wider. Dem alten Rom folgte Byzanz als das »zweite« Rom und diesem Moskau als das »dritte Rom«. Das zweite war durch die türkisch-muslimische Eroberung 1453 untergegangen, das dritte in der Oktoberrevolution 1917, und das damals entstandene kommunistische Imperium nach der Wende von 1989. Und das »erste Rom« erhebt wieder neu die alten Herrschaftsansprüche über die ganze Kirche.
    Täuscht man sich nicht in allen drei »Rom« über die realen Machtverhältnisse hinweg? Das Moskauer Patriarchat setzt auf die Restauration der russisch-orthodoxen Kirche. Das ökumenische Patriarchat von Konstantinopel will die Einigung aller orthodoxen Kirchen des Ostens. Der Vatikan träumt von der Möglichkeit einer Re-christianisierung der westlichen säkular gewordenen Welt, von einer Re-romanisierung der evangelischen und anglikanischen Kirche und einer Restauration der vorkonziliaren römisch-katholischen Kirche. Werden diese Erwartungen in Erfüllung gehen?
    Das ist eher unwahrscheinlich. Es wird jedenfalls eine römische Illusion bleiben, die östliche Orthodoxie mit Berufung auf die Verwandtschaft in Struktur und Amtsauffassung unter die Herrschaft des römischen Primats und der Unfehlbarkeit des Papstes bringen zu wollen. Eine zweite Illusion: die römische Einschätzung, Protestantismus und Anglikanismus würden durch immer größere Zersplitterung und geistige Entleerung und einen Schrumpfungs- und Zerfallsprozess sich selber auflösen, auch wenn die unbestreitbaren Erosionsprozesse ernstgenommen werden müssen. Eine dritte Illusion schließlich: das Bestreben, durch Zentralisierung und Bürokratisierung die eigenen Machtansprüche zu modernisieren, zu steigern und so eine römisch-katholische Gegenwelt zur abgelehnten Moderne aufzubauen und zugleich die wachsende Entfremdung zwischen römischer Hierarchie und katholischem Volk zu überwinden.
    Eine »Implosion« kann sogar ein katholisches Musterland wie Polen treffen, dessen Kirche in den Zeiten des Nationalsozialismus und des Kommunismus eine bewundernswerte Widerstandskraft entwickelt hatte. Aber seit dem Zusammenbruch des Kommunismus weist die polnische Kirche bedrohliche Erosionserscheinungen auf, die nach dem Tod des polnischen Papstes offenkundig geworden sind. Kurz vor Weihnachten 2010 hat der um die Bürgerbewegung der 1970er-Jahre hochverdiente Dominikanerpater Ludwik Wi śniewski einen Klagebrief mit sieben Thesen über den bedrückenden Zustand des polnischen Katholizismus an den päpstlichen Nuntius in Warschau geschickt mit einer Kopie an die liberale Zeitung »Gazeta Wyborcza«: »Der Befund des Dominikaners ist niederschmetternd. Fünf Jahre nach dem Tod des päpstlichen Übervaters von Polen, Johannes Pauls II., verliert sich die polnische Kirche seiner Ansicht nach in eitlem Triumphalismus. Zwanzig Jahre nach dem Sieg über den Kommunismus erscheine sie nur nach außen als gewaltig, imposant und vielfarbig. In Wahrheit erinnere sie an einen aufgeblasenen Luftballon. Das spanische Gespenst, eine
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