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Denkanstöße 2013

Denkanstöße 2013

Titel: Denkanstöße 2013
Autoren: Isabella Nelte
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sind die Lehrer zu der Überzeugung gelangt, dass dem Seminaristen Hesse die »Fähigkeit fehlt, sich selbst in Zucht zu halten und seinen Geist und sein Gemüt in die Schranken einzufügen, welche für sein Alter und für eine erfolgreiche Erziehung in einem Seminar notwendig sind«. Mit seinen »überspannten Gedanken« und »übertriebenen Gefühlen« könne er leicht zur Gefahr für seine Kameraden werden, heißt es im Protokoll des Lehrerkonvents. Wenige Tage später erschreckt Hermann seine Eltern mit einem Bericht, der tiefe Depression, ja Lebensmüdigkeit ausdrückt. Auslöser ist der Rückzug seines Freundes Wilhelm Lang, dem seine Eltern den Kontakt zu ihm verbieten. Er habe den Menschen verloren, schreibt Hermann nach Hause, den er mehr liebe als alle. Er wisse nun nicht, wofür es sich noch zu leben lohne.
    Dass der Verlust des besten Freundes das endgültige Ende seiner Maulbronner Schulzeit ankündigt, wird Hermann erst Wochen später begreifen, als ein neuerlicher Vorfall die Schulleitung alarmiert. Inzwischen ist er von einem vierwöchigen Zwangsurlaub ins Seminar zurückgekehrt. Auch in Calw fühlte er sich elend; bei der Explosion eines selbst gebastelten Feuerwerkskörpers hat er sich an den Augen verletzt und kehrt am 23. April wenig motiviert nach Maulbronn zurück. Wieder machen ihm rasende Kopfschmerzen zu schaffen, und in Briefen redet er seine Eltern überraschend mit »Sie« an. Fast täglich gerät er jetzt mit seinen Kameraden aneinander. Seit seinem »Geniereisle«, wie Großvater Gundert die Eskapade seines Enkels ironisch nennt, fühlt er sich seinen Mitschülern haushoch überlegen. Auch wenn er ins Kloster zurückgekehrt ist, so hat er in diesen 23 Stunden Abwesenheit doch auch eine Art Initiation erfahren, einen Sprung gewagt, seinen Willen erprobt und tief in den Abgrund der Einsamkeit geschaut, die ihn keineswegs erschreckt. So kommt ihm der Biedersinn seiner angepassten, verbissen um die schulische Rangordnung kämpfenden Kameraden immer lächerlicher vor. Schnell werden aus harmlosen Unterhaltungen aggressive Streitgespräche, die bedrohlich eskalieren. Hermann stellt alles infrage, was zur religiösen Welt des evangelischen Seminars gehört: Es gebe keinen Himmel und keine Hölle, das Jenseits sei ein Ort glücklicher Geister, eine Art Elysium, wo die Seelen der Verstorbenen ohne Zwang miteinander verkehrten. Zwar glaube er an das Göttliche, aber es gebe kein echtes Verhältnis zwischen Gott und den Menschen. Beten, die Zwiesprache mit Gott, sei sinnlos. Hermann stellt den Selbstmord als legitimes Freiheitsrecht dar und will nicht einsehen, dass ein Geschöpf Gottes damit eine schwere Sünde begeht. Seinem Tisch- und Bettnachbarn, dem Stuttgarter Professorensohn Otto Hartmann, droht er sogar mit Mord, denn nur solch eine radikale Tat könne ihn von seiner lähmenden Schwermut befreien, trumpft er in pubertärem, provozierendem Überschwang auf. Eine ganze Reihe von Vätern äußert dem Ephorus, dem Maulbronner Seminarleiter, und der Familie Hesse gegenüber die Sorge, Hermanns Geisteszustand könne auch ihren Söhnen Schaden zufügen. Tatsächlich fürchten sie, der aufsässige Mitschüler könnte über kurz oder lang auch ihre Sprösslinge mit seinem Freiheitsfuror infizieren.
    Kurzentschlossen fährt Marie Hesse am 7. Mai nach Maulbronn, um ihren Sohn abzuholen und zur Behandlung zu dem befreundeten Pfarrer Blumhardt in den Kurort Bad Boll zu bringen. Christoph Blumhardt, Sohn des bekannten schwäbischen Heilers und Teufelsaustreibers Johann Christoph Blumhardt, kuriert seelische Störungen durch Gebete und strenge Exerzitien. In ihrem Tagebuch notiert Marie Hesse, nicht nur Hermanns Mitschüler hielten ihn inzwischen für geisteskrank, auch der Hausarzt Doktor Zahn habe eine Einweisung in die Irrenanstalt empfohlen. Aus Hermann Hesses Geniereise ist ein Absturz in den Wahnsinn geworden, der Dichtertraum scheint ausgeträumt.

Uwe A. Oster
Friedrich II. und der Kampf mit seinem Vater
    Latein zu lernen – das war aus der Sicht des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) vergeudete Zeit. Eine tote Sprache, mit der man nichts anfangen konnte. In der Instruktion für die Erziehung des Kronprinzen hielt er daher knapp und bündig fest: »Was die lateinische Sprache anbelangt, so soll
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