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Delphi sehen und sterben

Delphi sehen und sterben

Titel: Delphi sehen und sterben
Autoren: Lindsey Davis
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hatte einen schnellen Kutschwagen mitgebracht. Als Senatorensohn war es unter seiner Würde, sich mit Eselskarren abzugeben. Der hier war eine leichte, hochrädrige Angelegenheit, die man als Athenes Kampfwagen hätte einsetzen können. Dazu brauchten wir nur noch eine Eule auf dem Trittbrett.
    Aulus fuhr. Die Zügel zu ergreifen und Chaos anzurichten gehörte zum Privileg seines Ranges. Er ließ andere Fahrzeuge zur Seite spritzen, als wäre es ein Rennen im Zirkus. Ich benutzte die Fahrt, um ihn auf den neuesten Stand zu bringen. Als ich ihm erzählte, was Helena und ich gestern von Marcella Naevia erfahren hatten, schnaubte er verblüfft über ihr Verhalten. Im schwachen Licht einer Fackel sah ich, wie er sich auf die Lippe biss und sich überlegte, welchen Schwachsinn sie uns jetzt auf die Nase binden würde.
     
    Die römische Agora lag genau nördlich von der Akropolis, etwas östlich von der ursprünglichen griechischen Agora. Unsere war von Caesar und Augustus errichtet worden, und auch hier traf das zu, was Helena über den römischen Einfluss auf der Akropolis gesagt hatte: »Man muss vorgeben, dass die neuen römischen Gebäude ein Zeichen römischer Wertschätzung für Athen sind.« Sie war eine Meisterin der Ironie.
    Sie und ich hatten die neue Agora von unserem selbst zusammengestellten Besichtigungsplan gestrichen, doch Aulus fand sie leicht. Er hielt vor einer protzigen öffentlichen Latrine an, die wir beide benutzten – mit sarkastischem Staunen, dass die römische Wertschätzung für Griechenland so gut durch dieses achtundsechzigsitzige Scheißhaus ausgedrückt wurde, komplett mit fließendem Wasser. Jetzt waren wir für alles bereit.
    Das Haus von Kyrrhos stand kurz vor der Agora, ein antikes achteckiges Gebäude aus exquisitem Marmor, geschmückt mit Darstellungen der Winde. Es diente als Wetterstation und Zeitmesser und war von dem berühmten makedonischen Astronom Andronikos von Kyrrhos erbaut worden. Eine Wasseruhr stand im Inneren und zeigte auf einer Skala die Stunden an. An der Außenseite befanden sich Sonnenuhren. Eine rotierende Scheibe verdeutlichte die Bewegungen der Sterne und den Lauf der Sonne durch die Sternbilder. Auf dem Dach schwang ein bronzener Triton einen Stab, der als Wetterfahne diente. Mehr konnte man nicht erwarten – außer man war scharf auf Automaten, Klingeln und singende Vögel auf einer Uhr wie der in Alexandria, von der mir Marinus erzählt hatte.
    Aulus und ich hatten viel Zeit, diese Wunder der Wissenschaft zu betrachten. Philomela verspätete sich.
    »Daran sieht man, dass sie Römerin ist.«
    »Wenn sie Griechin wäre, dürfte sie das Haus überhaupt nicht verlassen.«
    »Spricht vielleicht für die Griechen.«
    »Das sag ich Helena!«
    »Selbst du würdest das nicht tun, Falco.«
     
    Schließlich tauchte die Frau auf und wirkte erstaunt über unsere Ungeduld. Ich sah, wie Aulus sie skeptisch musterte; er begegnete ihr zum ersten Mal. Immer unbehaglich in Gegenwart weiblicher Zeugen, ließ ihn Philomela – oder Marcella Naevia – mit ihren Schals und dem zerstreuten Ausdruck nervös schlucken.
    Sie legte sofort los. Sie war angespannt und aufgeregt. »Falco, ich muss Ihnen von dem Mann erzählen.«
    »Ja, Sie müssen ihn formell beim Namen nennen …«
    »Ach, Sie wissen doch, wen ich meine!« Sie packte mich am Tunikaärmel. »Es ist sehr wichtig, dass Sie mir zuhören. Dieser Mann könnte diesen schrecklichen Mord begangen haben.«
    »Valeria Ventidia?«
    »Natürlich. Das hätte mir schon zuvor klar sein müssen. Ich war in Olympia …«
    »Ich dachte, Sie wollten nicht dort hin, weil Ihnen der Ort nicht gefällt? Das haben Sie mir wenigstens erzählt.« Ich war entschlossen, alles zu überprüfen, was sie sagte. Für mich war Marcella Naevia eine unzuverlässige Zeugin, zu entrückt, um ihr zu trauen. Wenn ihr das klar gewesen wäre, hätte sie mich als voreingenommen bezeichnet.
    Zweifelte ich nur an ihr, weil ihre Maßstäbe nicht die meinen waren? Ja. Tja, lag ich damit etwa falsch?
    »Ich hatte einen Grund.«
    »Den muss ich erfahren.«
    »Sie müssen mir einfach glauben.«
    »Nein. Es wird Zeit, mit dem Getue aufzuhören, Marcella Naevia. Ich will genau wissen, warum Sie diesen Sommer nach Olympia gingen. Schließlich könnten
Sie
die Mörderin sein.«
    »Das zu behaupten ist Wahnsinn!« Ich hörte Aulus über ihre wütende Antwort vor Lachen husten. »Ich bin dort hingegangen«, teilte uns Marcella Naevia steif mit, »weil ich immer
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