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Delirium

Delirium

Titel: Delirium
Autoren: Lauren Oliver
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Augenblick habe ich Angst vor ihr. »Man kann nicht glücklich sein, wenn man nicht manchmal auch unglücklich ist. Das weißt du doch, oder?«
    Bevor ich etwas erwidern kann, lässt sie mich los, und plötzlich ist ihr Gesicht wieder so gelassen, hübsch und gefasst wie immer. Sie bückt sich, um mein Klemmbrett aufzuheben, und reicht es mir mit einem Lächeln. Dann dreht sie sich um und ist hinter den Glastüren verschwunden, die sich so sanft öffnen und hinter ihr schließen wie Wasser, das über einem sinkenden Gegenstand zusammenschlägt.

vier
    Der Teufel stahl sich in den Garten Eden. Er trug den Samen
    der Krankheit – Amor deliria nervosa – bei sich. Das Samenkorn wuchs und
gedieh und wurde zu einem herrlichen Apfelbaum, der Äpfel trug,
    so leuchtend rot wie Blut.
    Aus: Genesis.
Eine vollständige Geschichte der Welt und des bekannten Universums von Dr. Steven Horace, Harvard University
    A ls mich die Schwester ins Wartezimmer einlässt, ist Hana bereits weg – einen der antiseptischen weißen Flure entlang und hinter einer der Dutzenden identischen weißen Türen verschwunden –, obwohl ungefähr sechs andere Mädchen noch hier warten. Eine sitzt über ihr Klemmbrett gebeugt auf einem Stuhl, schreibt, streicht ihre Antworten durch, schreibt. Eine andere fragt eine Krankenschwester hektisch, was der Unterschied zwischen »chronischen Krankheiten« und »bestehenden Krankheiten« sei. Sie sieht aus, als stünde sie kurz vor irgendeinem Anfall – eine Ader zeichnet sich auf ihrer Stirn ab und ihre Stimme wird immer lauter und hysterischer. Ich frage mich, ob sie auf ihrem Bogen » eine Tendenz zu Angstzuständen« vermerken wird.
    Es ist nicht lustig, aber ich muss trotzdem lachen. Ich halte die Hand vors Gesicht und schnaube in meine Handfläche. Wenn ich besonders nervös bin, neige ich dazu, albern zu werden. In der Schule kriege ich bei den Arbeiten immer Ärger, weil ich lache. Ich überlege, ob ich das wohl hätte aufschreiben müssen.
    Eine Schwester nimmt mir das Klemmbrett ab und blättert die Seiten durch, um zu überprüfen, ob ich alles ausgefüllt habe.
    Â»Lena Haloway?«, fragt sie mit ihrer hellen, abgehackten Stimme, die alle Krankenschwestern zu haben scheinen, als wäre das Teil ihrer medizinischen Ausbildung.
    Â»Mh-mhm«, sage ich, verbessere mich dann aber schnell. Meine Tante hat mir gesagt, dass die Gutachter ein gewisses Maß an Förmlichkeit erwarten. »Ja, das bin ich.« Es ist immer noch komisch, meinen echten Nachnamen zu hören, Haloway, und ein mulmiges Gefühl macht sich in meiner Magengrube breit. Während der letzten zehn Jahre habe ich den Namen meiner Tante, Tiddle, benutzt. Auch wenn es ein ziemlich blöder Nachname ist – Hana hat mal gesagt, er klinge wie Kindersprache für kitzeln –, verbindet man ihn wenigstens nicht mit meinen Eltern. Die Tiddles sind immerhin eine richtige Familie. Die Haloways sind nichts weiter als eine Erinnerung. Aber zu offiziellen Zwecken muss ich meinen Geburtsnamen benutzen.
    Â»Komm mit.« Die Krankenschwester zeigt auf einen der Flure und ich folge dem gleichmäßigen Klick-Klack ihrer Absätze über das Linoleum. Die Flure sind blendend hell. Das Flattern arbeitet sich von meinem Magen in meinen Kopf hoch und macht mich ganz benommen. Ich versuche mich zu beruhigen, indem ich mir das Meer draußen vorstelle, sein stampfendes Atmen, die kreisenden Möwen am Himmel.
    Es ist bald vorbei, sage ich mir. Es ist bald vorbei und dann gehst du nach Hause und musst nie wieder an die Evaluierung denken.
    Der Flur scheint sich endlos hinzuziehen. Weiter vorn geht eine Tür auf und wieder zu, und als wir einen Augenblick später um eine Ecke biegen, stürmt ein Mädchen an uns vorbei. Ihr Gesicht ist rot und ganz offenbar hat sie geweint. Sie hat es anscheinend bereits hinter sich. Ich glaube in ihr eines der ersten Mädchen zu erkennen, die eingelassen wurden.
    Unweigerlich tut sie mir leid. Die Evaluierungen dauern normalerweise zwischen dreißig Minuten und zwei Stunden, aber es ist allgemein bekannt, dass es umso besser für einen läuft, je länger einen die Gutachter dabehalten. Das trifft natürlich nicht immer zu. Vor zwei Jahren erlangte Marcy Davies Berühmtheit, weil sie nach einer Dreiviertelstunde schon wieder draußen war und unglaubliche zehn Punkte erhielt.
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