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Delirium

Delirium

Titel: Delirium
Autoren: Lauren Oliver
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ist unwohl zu Mute. Die Labors wirken weit entfernt und sind so weiß, dass ich es kaum ertragen kann, sie anzusehen, der Bürgersteig vor uns schimmert in der Hitze. Die Worte der wichtigste Tag deines ganzen Lebens gehen mir wieder und wieder im Kopf herum. Die Sonne fühlt sich an wie ein riesiger Scheinwerfer.
    Â»Viel Glück.« Meine Tante schenkt mir ihr Millisekundenlächeln.
    Â»Danke.« Irgendwie wünschte ich, Carol würde noch etwas sagen – so etwas wie: Du schaffst das , oder: Mach dir keine Gedanken –, aber sie steht einfach nur blinzelnd da, ihr Gesicht so beherrscht und undurchdringlich wie immer.
    Â»Keine Sorge, Mrs Tiddle.« Hana zwinkert mir zu. »Ich kümmere mich darum, dass sie es nicht völlig vermasselt. Versprochen.«
    All meine Nervosität ist wie weggeblasen. Hana steht der ganzen Sache so gelassen gegenüber, so gleichgültig und normal.
    Gemeinsam gehen wir auf die Labors zu. Hana ist fast eins fünfundsiebzig. Wenn ich neben ihr hergehe, muss ich nach jedem zweiten Schritt einen kleinen Hüpfer machen, um mit ihr mitzuhalten, und fühle mich schließlich immer wie eine Ente, die im Wasser auf und nieder hopst. Heute macht mir das allerdings nichts aus. Ich bin froh, dass sie bei mir ist. Ansonsten wäre ich jetzt schon völlig fertig.
    Â»Gott«, sagt sie, als wir uns den Schlangen nähern. »Deine Tante nimmt diese ganze Sache ziemlich ernst, was?«
    Â»Na ja, es ist ernst.« Wir stellen uns hinten an. Jetzt erkenne ich einige Leute: ein paar Mädchen aus der Schule; ein paar Typen, die ich hinter einer der Schulen für Jungen, der Spencer-Schule, Fußball spielen gesehen habe. Einer von ihnen sieht in meine Richtung und bemerkt, dass ich zu ihm rüberstarre. Er hebt die Augenbrauen und ich senke schnell den Blick, während mein Gesicht sofort ganz heiß wird und mein Magen anfängt zu kribbeln. In nicht mal drei Monaten wird dir ein Partner zugeteilt, sage ich mir, aber die Wörter bedeuten nichts und klingen bloß lächerlich wie bei einem der Spiele, die wir als Kinder gespielt haben, bei denen immer Quatsch-Sätze herauskamen: Ich will eine Banane zum Rennboot. Gib meinen nassen Schuh deinem blubbernden Muffin.
    Â»Ja, ich weiß. Glaub mir, ich habe Das Buch Psst auch gelesen, genau wie alle anderen.« Hana schiebt ihre Sonnenbrille hoch, klimpert mir mit ihren Wimpern zu und sagt mit zuckersüßer Stimme: » Der Tag der Evaluierung ist ein aufregendes Übergangsritual und ermöglicht dir eine Zukunft des Glücks, der Stabilität und Partnerschaft. « Sie lässt ihre Sonnenbrille wieder zurück auf die Nase fallen und verzieht das Gesicht.
    Â»Glaubst du etwa nicht daran?« Ich senke meine Stimme zu einem Flüstern.
    Hana benimmt sich seltsam in letzter Zeit. Sie war schon immer anders als viele Leute – offener, unabhängiger, furchtloser. Das ist einer der Gründe, warum ich ursprünglich ihre Freundin sein wollte. Ich war schon immer schüchtern und habe ständig Angst, das Falsche zu sagen oder zu tun. Hana ist das genaue Gegenteil.
    Aber seit neuestem ist es mehr als das. Zum Beispiel wurde sie in der Schule nachlässig und ist mehrmals zum Direktor gerufen worden, weil sie den Lehrern widersprochen hat. Und manchmal hört sie mitten im Satz auf zu sprechen und klappt den Mund zu, als wäre sie gegen ein Hindernis gestoßen. Dann ertappe ich sie gelegentlich dabei, dass sie aufs Meer hinausstarrt, als würde sie darüber nachdenken, einfach wegzuschwimmen.
    Als ich sie jetzt so ansehe, ihre klaren grauen Augen und ihren Mund, der so dünn und angespannt ist wie eine Bogensehne, versetzt es mir einen Stich. Ich muss daran denken, wie meine Mutter einen Augenblick durch die Luft ruderte, bevor sie wie ein Stein ins Meer fiel; ich muss an das Gesicht dieses Mädchens denken, das vor all den Jahren vom Dach des Laboratoriums gesprungen ist, an ihre Wange auf dem Asphalt. Aber ich verdränge die Gedanken an die Krankheit. Hana ist nicht krank. Das kann nicht sein. Das wüsste ich.
    Â»Wenn es ihnen wirklich um unser Glück ginge, würden sie uns selbst jemanden auswählen lassen«, grummelt Hana.
    Â»Hana«, sage ich mit scharfer Stimme. Das System zu kritisieren ist das schlimmste Vergehen, das es gibt. »Nimm das zurück.«
    Sie hebt die Hände. »Okay, okay. Ich nehm’s zurück.«
    Â»Du
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