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Delirium

Delirium

Titel: Delirium
Autoren: Lauren Oliver
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auszubrechen.
    Gegen neun ist das gesamte Licht aus dem Zimmer verschwunden und ich bleibe im Dunkeln zurück, Schatten liegen wie Stoff über der Wand. Der Mond ist groß und hell, dringt durch die Jalousie und überzieht alles mit einem schwachen, verschwommenen Silberglanz. Onkel William sitzt immer noch draußen und hört leise Radio, ein unverständliches Rauschen. Geräusche dringen durch den Boden zu mir durch – Wasser, das in der Küche und im unteren Bad rauscht, Stimmen, die im Erdgeschoss murmeln, und das Schlurfen gepolsterter Füße –, ein letztes Husten und Schütteln, bevor das Haus für die Nacht zur Ruhe kommt wie ein Mensch im Todeskampf. Jenny und Grace dürfen immer noch nicht bei mir im Zimmer schlafen. Sicher legen sie sich wieder im Wohnzimmer schlafen.
    Rachel kommt ein letztes Mal mit einem Glas Wasser herein. Es ist in der Dunkelheit schwer zu erkennen, aber es sieht verdächtig trüb aus, als wäre etwas darin aufgelöst.
    Â»Ich habe keinen Durst«, sage ich.
    Â»Nur ein paar Schlucke.«
    Â»Ehrlich, Rachel. Ich habe keinen Durst.«
    Â»Mach kein Theater, Lena.« Sie setzt sich aufs Bett und drückt mir das Glas an die Lippen. »Du warst den ganzen Tag über so brav.«
    Ich habe keine Wahl, als ein paar Schlucke zu trinken – und schmecke dabei den bitteren Geschmack nach Medizin. Das Wasser ist definitiv mit irgendwas versetzt – weiteren Schlaftabletten zweifellos. Ich behalte das Wasser im Mund, und sobald Rachel aufsteht und sich wieder zur Tür wendet, drehe ich den Kopf und lasse das Wasser auf mein Kissen, in meine Haare laufen. Es ist ziemlich eklig, aber besser als die Alternative. Nässe sickert in mein Kissen und kühlt vorübergehend den brennenden Schmerz in meinen Schultern.
    Rachel zögert an der Tür, als versuchte sie sich einen bedeutungsvollen Satz einfallen zu lassen. Aber alles, was sie schließlich sagt, ist: »Bis morgen.«
    Nicht, wenn ich’s verhindern kann, denke ich, entgegne jedoch nichts. Dann geht sie und macht die Tür hinter sich zu.
    Ich bleibe in völliger Dunkelheit zurück, allein mit dem Verstreichen der Stunden, dem Vorwärtsticken der Minuten. Und während ich so daliege, ohne etwas anderes tun zu können, als zu denken – während das Haus um mich herum zur Ruhe kommt –, kehrt die Angst zurück. Ich sage mir, dass Alex kommen muss – er muss einfach –, aber die Uhr kriecht immer weiter vorwärts, voller Hohn, und die Straßen draußen sind still, abgesehen von gelegentlichem Hundebellen.
    Damit mein Verstand nicht endlos um dieselbe Frage kreist ( Kommt Alex oder kommt er nicht?) , denke ich über alle Möglichkeiten nach, wie ich mich auf dem Weg zu den Labors umbringen kann. Wenn auf der Congress Street viel los ist, werfe ich mich vor einen der Lastwagen. Oder vielleicht schaffe ich es, zum Hafen zu rennen. Es dürfte nicht allzu schwierig sein zu ertrinken, vor allem, wenn meine Hände immer noch gefesselt sind. Wenn es ganz schlimm kommt, kann ich versuchen, mich zum Dach der Labors hinaufzukämpfen wie das Mädchen vor all den Jahren, das wie ein Stein vom Himmel fiel und die Wolken durchtrennte.
    Ich muss an das Bild denken, das an jenem Tag im Fernsehen kam, das kleine Rinnsal Blut, der eigenartig friedliche Gesichtsausdruck. Jetzt verstehe ich es. Es klingt krank, aber mir diese Pläne auszudenken beruhigt mich, drängt das schreckliche Flattern aus Nervosität und Angst in mir zurück. Ich will lieber unter meinen Bedingungen sterben als unter ihren leben. Ich sterbe lieber in Liebe zu Alex, als ohne ihn zu leben.
    Bitte, Gott, mach, dass er mich holen kommt.
    Ich werde dich auch nie wieder um was anderes bitten.
    Ich werde alles aufgeben, was ich habe.
    Bitte mach einfach, dass er kommt.
    Um Mitternacht wird aus der Angst plötzlich Verzweiflung. Wenn er nicht kommt, muss ich allein hier raus.
    Ich bewege die Hände in ihren Fesseln und versuche den zusätzlichen Zentimeter Raum zu nutzen. Die Schnur schneidet mir tief in die Haut und ich beiße mir auf die Lippen, um im Dunkeln nicht laut aufzuschreien. Wie sehr ich auch ziehe und zerre, die Schnur gibt einfach nicht weiter nach, aber ich versuche es trotzdem, bis mir der Schweiß von der Stirn tropft und ich befürchte, dass jemand auf mich aufmerksam wird und ins Zimmer kommt, wenn ich weiter so herumzappele. Etwas
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