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Delia, die weisse Indianerin

Delia, die weisse Indianerin

Titel: Delia, die weisse Indianerin
Autoren: Marie Louise Fischer
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steht auf der Seite des Fürsten und unseres Ländchens. Unser Ländchen ist jedoch nur ein kleiner Teil des großen deutschen Vaterlands. Wir haben zahllose solche kleinen Fürstentümer; sie trennen unser Land in tausend kleine Splitter. In jedem regiert irgendein Fürst wie unser Fürst, und zwar unumschränkt. Die Fürsten können über Leben und Tod ihrer Untertanen, und das sind wir alle, bestimmen. Sie können Teile ihrer Länder mit den Menschen darauf verkaufen oder vererben. Das Volk hat gar nichts zu sagen, es muss blind gehorchen.“
    „Aha“, sagte Delia. „Und das Volk sind wir?“
    „Ja. Und wir alle haben ein Recht, über unser Schicksal selbst zu bestimmen. Das haben unsere klügsten Köpfe, die Professoren, schon seit Langem gefordert, und unsere Studenten sind dafür – für persönliche Freiheit und ein großes deutsches Vaterland – 1848, also vor zwei Jahren, auf die Barrikaden gegangen. Sie haben eine Revolution machen wollen.“
    Delia hatte heiße Wangen bekommen. „Und Vater war auch dabei?“
    „Er hat Kampfschriften der Revolutionäre gedruckt Aber die Waffen der Fürsten waren stärker als der gute Wille der jungen Leute, und deshalb hat dein Vater, als die Revolution niedergeschlagen war, fliehen müssen.“
    „Und warum hat er uns nicht mitgenommen?“
    „Es ging alles so schnell. Er musste bei Nacht und Nebel über die Grenze. Sonst wäre er verhaftet und in den Kerker geworfen worden.“
    „Aber wir hätten ihm doch nachfahren können, gleich damals, als sein erster Brief aus New York kam.“
    „Solch eine Überfahrt kostet Geld …“
    „Mama hätte ja nur unser Haus zu verkaufen brauchen, und die Druckerei ...“
    „Deine Mama, liebe Delia“, sagte Onkel Johannes, „ist keine Abenteurerin. Das sind die Wenigsten. Sie konnte sich nicht entschließen, alles im Stich zu lassen, was ihr lieb war, ohne zu wissen, was sie drüben erwarten würde.“
    „Aber Tante Ruth geht doch mit dir! Du nimmst deine ganze Familie mit!“
    Onkel Johannes strich Delia sachte über das Haar. „Das ist etwas anderes!“
    Delia zog ihr Näschen kraus. „Komisch“, sagte sie, „immer wenn ihr Erwachsenen etwas nicht erklären wollt, sagt ihr einfach: Das ist etwas anderes!“
    Onkel Johannes lachte. „Jedenfalls“, sagte er, „wenn ich meinen Bruder treffe, werde ich ihm erzählen, dass du sofort zu ihm kommen würdest! Wer weiß, vielleicht schickt er dir dann eine Fahrkarte!“

Als Delia sich an diesem Tag auf den Heimweg machte, war es schon spät geworden.
    Es hatte mit den beiden blonden Vettern Peter und Paul so viel zu schwatzen gegeben. Die beiden Jungen waren wegen der bevorstehenden Auswanderung noch viel aufgeregter als Delia, die die Sache ja im Grunde nichts anging. Sie redeten großartig von ihren Plänen in der Neuen Welt, wie man Amerika damals nannte, und Delia glaubte ihnen alles aufs Wort und beneidete sie heiß.
    Tante Ruth war schon dabei gewesen, Kisten zu packen, als Delia ins Haus kam, und natürlich musste Delia ihre kleine Nase in alles stecken, unerbetene gute Ratschläge geben und der Tante zur Hand gehen. Wie ein Wiesel war sie von Zimmer zu Zimmer gerannt, angesteckt von dem Reisefieber der anderen.
    Nachher hatten sie alle zusammen an dem runden Mahagonitisch in der guten Stube gesessen und zu Abend gegessen. Delia hatte den Verwandten freilich nicht erzählt, dass ihre Mutter keine Ahnung hatte, wo sie war, und so drängte niemand sie zum Aufbruch.
    Die Stunden waren wie im Flug vergangen, und Delias Gewissen begann erst zu schlagen, als die Sonne im Westen hinter den Wäldern untergegangen war und Tante Ruth die bauchige, gemütliche Öllampe anzündete.
    Delia sprang so jäh in die Höhe, dass sie beinahe den Stuhl umgeworfen hätte. „O je, ich muss nach Hause!“ rief sie.
    „Aber nein, warum denn, Delia?“ sagte Tante Ruth. „Bleib doch über Nacht hier! Morgen kannst du dann mit Babette und den Jungen in die Stadt zurück und zur Schule gehen!“
    Onkel Johannes aber durchschaute die Situation sofort. „Ich glaube, es ist doch besser, wenn Delia sich jetzt schon auf den Heimweg macht“, sagte er und lächelte Delia augenzwinkernd zu. „Nicht wahr, Kleines?“
    Wenn das Telefon damals schon erfunden gewesen wäre, hätten Delia oder ihre Tante einfach zu Hause anrufen und Delia entschuldigen können. Aber soweit war man eben noch nicht.
    Delia zögerte. Die Aussicht, eine Nacht auf dem Gutshof zu verbringen, war verlockend. Außerdem konnte
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