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Delia, die weisse Indianerin

Delia, die weisse Indianerin

Titel: Delia, die weisse Indianerin
Autoren: Marie Louise Fischer
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mochte und wen sie ablehnte, denn der Mops teilte ihre Zuneigung und Abneigung uneingeschränkt.
    Den Wachtmeister Schmittke kannten beide, aber sie streckten die Nasen in die Luft und sahen an ihm vorbei, als wäre er gar nicht vorhanden.
    Doch der Wachtmeister war dickfellig. „Guten Tag, Mademoiselle Delia!“ grüßte er.
    „Guten Tag, Herr Wachtmeister“, sagte Delia sehr von oben herab, was allerdings nicht ganz einfach war, denn sie selbst war ein kleines Persönchen und der Wachtmeister ein baumlanger Mann.
    „Nachricht vom Herrn Papa, Mademoiselle?“
    „Nein!“ antwortete Delia abweisend.
    „Hätte ich mir denken können“, sagte Wachtmeister Schmittke grinsend.
    Delia blieb stehen. „Was soll das heißen?“ fragte sie böse. „Wieso hätten Sie sich das denken können?“
    „Na, die Sorte kenne ich doch! Wer kein Verantwortungsgefühl dem Staat gegenüber hat, kennt auch keine Verpflichtungen gegenüber seiner Familie!“
    Delia ballte die Fäuste. „Ich lasse meinen Vater nicht von Ihnen beleidigen!“ rief sie. „Wenn er nicht schreibt, dann hat er bestimmt Gründe dafür!“
    „Ja, die hat er ganz bestimmt! Wahrscheinlich hat er jetzt drüben in Amerika die Freiheit, die er immer haben wollte, und da wird er sie auch ausnutzen wollen!“
    „O Sie ... Sie böser und gemeiner Mensch!“ Delia war außer sich vor Wut und Verzweiflung und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, weil sie nicht verhindern konnte, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen.
    „Na, na, na, Mademoiselle“, sagte Wachtmeister Schmittke, jetzt doch einigermaßen bestürzt über die Wirkung seiner Worte – vielleicht empfand er selbst, wie wenig anständig es war, als erwachsener Mensch ein kleines Mädchen zu quälen.
    Er machte eine Bewegung auf Delia zu, um sie zu beruhigen. Aber der Mops, der sich während des ganzen Gesprächs nicht von Delias Seite gerührt hatte, verstand diese Bewegung offensichtlich falsch, oder er hielt auch den Zeitpunkt zum Eingreifen für gekommen , kurzum, er schnappte zu.
    Wachtmeister Schmittke stieß einen Wehlaut aus. Der Mops hatte ihn mitten in die stramme Wade gebissen.
    „Lass los, Professor!“ rief Delia entsetzt.
    „Dir und deinem verdammten Köter werde ich es noch geben!“ brüllte der Wachtmeister.
    Aber da waren Delia und ihr Hund schon davongestoben. Der Mops hielt triumphierend einen Fetzen von der schönen roten Hose des Wachtmeisters zwischen den Zähnen. Sie rannten beide blindlings drauflos. Es war ein Glück, dass es damals weder Autos noch Motorräder, nicht einmal Straßenbahnen oder Fahrräder gab; sonst hätten sie bestimmt nicht heil ihr Ziel erreicht.
    Erst als sie das Stadttor passiert hatten und freies Feld vor ihnen lag, wagten sie, ihren Schritt zu verlangsamen.
    „Eigentlich müsste ich ja mit dir schimpfen, Professor“, sagte Delia. „Aber ich verstehe schon, wie du es gemeint hast. Du hast ganz recht gehabt! Wir lassen unseren Vater nicht beleidigen, von niemandem, und schon gar nicht von diesem widerlichen Wachtmeister Schmittke!“
    Sie warf den Kopf mit den dunkel glänzenden Flechten in den Nacken und schritt mit großen Schritten weiter; ihr Mops, die Siegestrophäe im Maul, lief vor ihr her.

Nach etwa tausend Metern tauchten in der Ferne die Gebäude eines Gutshofs auf. Delia bückte sich und wollte dem Hund den roten Uniformfetzen aus dem Maul nehmen. Aber sie musste erst sehr energisch werden, bevor er ihn freigab. Sie ließ das feuchte Stück Stoff in der Tasche ihres weiten Rockes verschwinden.
    „So ist’s brav, Professor“, sagte sie. „Es braucht ja nicht jeder gleich zu merken, dass wir eine Auseinandersetzung hatten!“
    Sie waren an die Grenze gekommen, wo die Felder des Gutshofes begannen, und Delia sah sich erwartungsvoll um, ob sie nicht irgendwo ihren Onkel Johannes, den Pächter des Gutes, entdecken konnte. Aber sie sah nur die Knechte bei der Frühjahrsbestellung und winkte ihnen fröhlich zu. Sie genoß die frische Luft, den Sonnenschein, die Weite der Landschaft und auch den scharfen Wind, der ihr um die Ohren strich. Hier draußen hatte sie sich seit vielen Jahren wohler gefühlt als in der Enge der kleinen Stadt, die von hohen Mauern fest umgrenzt war und in der jeder jeden kannte.
    Fast vergaß sie auf diesem Marsch über die schlammige, holprige Straße ihren Kummer und ihren Zorn.
    Dann hatten sie das Gutshaus erreicht. Aber sie betrat es nicht von vorn durch das große Tor, sondern ging hintenherum durch
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