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Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Titel: Deine Stimme in meinem Kopf - Roman
Autoren: Deuticke
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Hand mit perlmuttfarbenen Fingernägeln, und unsere Geschichte glüht im Dunkeln. »Man spürt, dass etwas zwischen euch ist.«
    Irgendwo sehr weit weg, im buddhistischen Kraftfeld, wo wir nebeneinander liegen, donnern die Wellen noch immer unten an die Klippen. Dort existiert ein anderes Leben, in dem Liebesbriefe nicht mit Tinte geschrieben werden, die verblasst und irgendwann unsichtbar wird. Ein anderes Leben, in dem Dr. R noch ein weiteres Jahr hat, weitere fünf Jahre, ein Leben, in dem er nicht sterben muss, ein Leben, in dem er wieder gesund wird und auch andere gesund machen kann, und in dem seine Familie ihn behalten darf. Es ist ruhig in unserem buddhistischen Kraftfeld, und nach unseren Leben voller Irrungen und Wirrungen, die wir uns selbst zugefügt haben, staunen wir beide über dieses Ding, das sich Frieden nennt. Wir haben so hart an unserer Genesung gearbeitet, und jetzt haben wir einander zum Beweis; wir stehen in der Heide, am Rand einer Klippe, und verspüren keinen Impuls zu springen. Noch ein Augenblick, noch ein Atemzug. Aber nicht für immer. Im New York Presbyterian Hospital hinter einer Tür des Milstein-Pavillons macht Dr. R seine letzten Atemzüge.
    Als die Party wieder in unser Blickfeld rückt und wir statt des Rauschens des Heidekrauts und des Meeres das Klirren von Champagnergläsern, Stilettos auf Marmorplatten, das Wogen der Party hören, lässt GH meine Hand los und schaut der Schauspielerin in die Augen.
    »Nein, Darling. Da ist nichts. Zwischen uns läuft absolut nichts.«
    Wenn mein Leben irgendwann zu Ende geht – das richtige Ende, zum richtigen Zeitpunkt (auch wenn es wie bei Dr. R ein unfairer Zeitpunkt ist, wird er richtig sein) –, werden in meinem Kopf willkürliche Erinnerungen aufblitzen: Bleistiftspitzer und Pinguine. Meine Freundinnen und Freunde, die meinen Highway der Verzweiflung säumten, mein Vater, der sich für eine Katze ein Lied ausdenkt, mit meiner Mutter zu einem Gospelsong tanzt, ihr gerader Rücken, die weichen Hände und das schöne Gesicht. Die selbstgenähten Geschenke meiner Schwester. Beim Autofahren
Graceland
hören. Ein eigenes Universum erschaffen, in dem man mit einem Lover in aller Ruhe liest. Und ein Mann, den ich zwar niemals außerhalb eines kleinen Zimmers sah, der jedoch felsenfest glaubte, mein Leben sei vielversprechend und lebenswert. Ich glaube nicht, dass ich mich irre, wenn ich sage, meine letzten Gedanken werden voller Liebe sein. Ich erinnere mich noch. Sollten Sie jemals einen Menschen verloren haben auf die Art, wie ich zu gehen versuchte, dann glauben Sie mir: Seine letzten Gedanken vor dem Weggehen galten der Liebe – das kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung versichern – egal, wie verzweifelt er war, egal, in welcher Hölle er sich befand, was immer ihn veranlasst hat, die Pillen zu schlucken oder die Schlinge zu knoten, seine Taschen mit Steinen zu füllen und ins Wasser zu gehen.
    Als ich erwache, finde ich eine E-Mail von der Liebe meines Lebens vor.
    Ich habe mir überlegt, was mit weiblichen Stimmen passiert, wenn sie älter werden. Sowohl die von Emmylou Harris als auch die von Joan Baez sind hinüber. Diese kristallklaren, mühelos höchste Höhen erklimmenden Töne sind weg. Joni Mitchell hingegen klingt eine Oktave tiefer besser, genau wie Dylan und Cohen. Jeder klingt früher oder später wie Tom Waits.
    Ich habe Emmylous neues Album. Ihre Stimme ist weg, aber die spektakuläre Kraft und ihre Musikalität sind noch da, und die Songs sind wunderschön.
    Ich gehe über die vereisten Wege wie eine Greisin, die versucht, nicht zu fallen.
    xxx Mum
    09. Mai 2008
    Als der Sportreporter Red Smith gebeten wurde, beim Begräbnis eines Freundes eine Ansprache zu halten, blickte er auf die versammelten Trauergäste und sagte: »Das Sterben ist keine große Sache, der Dümmste von uns wird es schaffen. Das Problem ist eher das Leben.«
    Dr. R hat das Leben geliebt, mehr als jeder andere, den ich kannte. In den fünfundzwanzig Jahren, in denen wir befreundet waren, hat er das Leben in vollen Zügen genossen. Er mochte New York, er mochte die Hamptons, er mochte Saint-Barth, das Theater und die Musik, gutes Essen und Kunst. Er sah gern Sportsendungen, trieb aber auch mit Leidenschaft aktiv Sport; er ging gern aus, blieb aber auch gern zu Hause. Er war nicht in allem gleich gut, das schafft keiner. Aber er war sehr unbefangen und willens, es zu versuchen. Er lachte, wenn etwas schiefging, und er feierte, wenn etwas gutging.
    Die
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