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Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Titel: Deine Stimme in meinem Kopf - Roman
Autoren: Deuticke
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so heißt er nun mal. Und so wird er ausgesprochen.«
    »Ich kann nicht durch die Gegend rennen und ›Zehen-Bohne‹ sagen. Das geht einfach nicht!«
    »Dann sag doch einfach nur seinen Vornamen!«
    »Er ist ein bekannter Mann.«
    »Dann lies seine Bücher, aber sprich nicht darüber.«
    »Nein.« Ich spüre, dass sie den Kopf schüttelt. »Ich komme sicher mal in eine Situation, in der ich seinen Namen sagen muss.«
    Ich glaube, meine Mutter neigt einfach zu Schwarzseherei, und das macht ihr Schuldgefühle – wie allen Juden ihres Alters, die nicht direkt vom Holocaust betroffen waren. Als sie damals in New York aufwuchs, war sie echt traumatisiert, weil irische Kinder in das jüdische Viertel zogen und ihr ihr Kazoo
und
ihre Matrosenmütze klauten. Sie war ein pummeliges kleines Mädchen, das seine Törtchen in der Sockenschublade versteckte. Und was war ein pummeliges Kind in den vierziger Jahren in New York ohne sein Kazoo?
    Ihr zweites schlimmes Erlebnis war der Tod ihres Vaters und wenig später der ihrer Mutter. Sie war damals noch im Teenageralter und wusste nicht mal, wie man sich einen Toast macht. Sie wurde sehr dünn – absichtlich, nicht weil sie keine Toasts mehr aß – und heiratete einen sehr viel älteren Mann. Die Ehe hielt nicht lange. Zum Glück verliebte sie sich dann in meinen Vater, und das war das Beste, was ihr passieren konnte.
    Mum und ihr erster Mann hatten schon länger keinen Kontakt mehr gehabt, und ich hatte noch nicht viel Erfahrung mit meinen manischen Anfällen, als ich zufällig die Adresse des Mannes entdeckte, den ich bisher nur vom Hörensagen kannte. Ich schrieb ihm einen Brief, in dem ich fragte, ob er schon tot sei oder nicht. Nicht aus Bosheit, nur aus Neugier.
    Mum regt sich immer sehr schnell auf. Auch wenn sie eben noch total ruhig ist (wenn sie zum Beispiel ihrer Katze beim Trinken zuschaut, sagt sie zuerst: »Brav, Jojo! Guter Junge.«), kann ihre Stimmung so plötzlich umschlagen wie das Wetter. (Die Katze trinkt weiter, Mums Lächeln erlischt. »Warum trinkst du so viel, Jojo? Was ist mit dir, Jojo? Bist du krank?«)
    Ich rede oft mit mir selbst, weil ich das von Mum kenne, hauptsächlich in der Küche, wo ich sie schon mit großer Begeisterung sagen hörte: »Glutenfreies Brot verschafft mir ein unglaublich positives Gefühl.« Oder: »Ich fürchte, George Clooneys Zähne sind nochmal sein Ruin.«
    Ich sehe meine Mutter überall. Aus einem bestimmten Blickwinkel hat das brasilianische Supermodel Gisele Bündchen ihr Gesicht, dann wieder erinnert sie mich an die schwarze Komikerin Wanda Sykes. Ich glaube, jeder Weiße hat einen schwarzen Doppelgänger und umgekehrt. Der schwarze Doppelgänger meines Dads ist der Vater in
Der Prinz von Bel-Air
. Und sein keltischer Doppelgänger ist Sean Connery.
    Einmal kam in einem Hotel in Jamaika eine Frau auf ihn zu und sagte: »Gestern Abend dachten wir, Sie seien Sean Connery.« Und Dad erwiderte: »Gestern Abend
war
ich Sean Connery.«
    Mein Dad weiß so gut wie alles, deshalb muss ich nie googeln. Dad reicht mir. Wenn ich eine Frage habe, schicke ich ihm eine E-Mail, er bekommt es heraus und antwortet dann unter dem Namen der beiden Google-Gründer-Milliardäre:
    »Von London nach Cardiff: teuer? Wie lange dauert die Fahrt?«
    »2–3 Std. mit Zug. Teuer, wenn man nicht im Voraus bucht. xx Larry Page und Sergey Brin.«
    Mit vierzehn wollte ich mal vom Sportunterricht befreit werden. Dad verfasste ein Schreiben in Form eines Dreiecks:
    An
    Miss
    Jenson, meine
    Tochter kann heute
    nicht am Sport teilnehmen.
    Folgender Grund: Unpässlichkeit.
    Es grüßt Sie herzlich Ihr Jeffrey Forrest
    Das tat er nur zu seinem Privatvergnügen, so pingelig sorgfältig, dass ich zu spät zum Unterricht kam. Als ich Miss Jenson die Entschuldigung überreichte, riss sie sie in kleine Fetzen, ließ sie auf den Boden fallen und sagte, sie betrachte diese Entschuldigung als persönliche Beleidigung vonseiten meiner Familie.
    Einmal bekam Dad eine Kreditkarte, die auf »Sir Jeffrey Forrest« ausgestellt war, weil American Express so blöd gewesen war, auf das Antragformular zu schreiben: »Schreiben Sie Ihren Namen in Druckbuchstaben in der gewünschten Form.«
    Neulich hat er einen Flug gebucht und schickte mir die Flugdetails:
Sonderwünsche:
Spezielle
Menüwünsche
Sitz-
wunsch
SIR CHARMING JEFFREY FORREST

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MS NÖRGEL JUDITH FORREST

12 K
    Als ich ihn fragte, ob es wirklich klug war, sich selbst und meine Mutter so zu nennen,
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