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Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Titel: Deine Stimme in meinem Kopf - Roman
Autoren: Deuticke
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Tag gesprochen. Vor dem Suizidversuch konnte sie mich viel schwerer erreichen. Ich war meist nachts wach, schlief dafür den Großteil des Tages und ließ meinen Anrufbeantworter ihre Anrufe entgegennehmen. Und wenn ich selbst mal ans Telefon ging, war ich entweder einsilbig oder quasselte wie ein Wasserfall.
    »Du klingst irgendwie gehetzt«, sagte sie zum Beispiel.
    »Ja, stimmt, weil ich gerade eine super Idee für ein Drehbuch hatte. Es heißt
Mrs Dolphin
, und es geht um einen Mann, der sich in ein Rückenmassagegerät verliebt, das die Form eines Delfins hat.«
    Angesichts der Tatsache, wie chaotisch ich klinge, glauben Sie mir womöglich gar nicht, wenn ich Ihnen sage, dass mich der Direktor von Sony nach Kalifornien einfliegen ließ, um mit mir zu besprechen, wie er meinen Debütroman verfilmen konnte. Er fragte auch, welche Skripts ich noch schreiben wollte. Doch es ist wahr.
    »Das«, erklärte Mum kategorisch, als ich ihr von
Mrs Dolphin
erzählte, »ist keine gute Idee für einen Film.«
    Ich war so sauer, dass ich mich drei Tage lang weigerte, mit ihr zu reden. Ich schickte meinen Entwurf an Sony, doch die Frau dort ließ nichts von sich hören.
    Etwa zur gleichen Zeit, als ich vom Ritzen meines Körpers zum Ritzen meines Gesichts »aufstieg«, begann ich mir schreckliche Sorgen zu machen um die psychische Verfassung von Menschen, die ich noch nie getroffen hatte.
    »Es wäre mir lieber«, sagt Dr. R in der Woche vor meinem Suizidversuch, »wenn Sie Robert Downey junior keine Päckchen mehr ins Gefängnis schickten.«
    »Aber ich habe nun mal das Gefühl, dass ich ihn retten kann, nur ich allein. Deshalb schicke ich ihm Mixtapes von Musik, die ihm gefallen wird.«
    »Statt Mixtapes an Robert Downey zu schicken –«
    »Junior!« Ich betone es, als würde es mein Tun irgendwie rechtfertigen, denn welcher Schwachkopf würde schon ungebetene Päckchen an einen Mann wie Robert Downey
senior
schicken?
    »Junior«, räumt Dr. R ein. »Bitte schicken Sie sie in Zukunft an mich.«
    Also gebe ich ihm ein Mixtape. Und ich schicke meinem Dad eins. Und dann versuche ich, mich umzubringen.
    13. Mai 2008
    Ich lernte Dr. R auf dem College kennen und weiß noch, dass ich damals fand, wenn der Begriff »Universalgenie« auf jemanden passte, dann auf ihn. Er war damals Medizinstudent im Vorbereitungsjahr, mit Kunst als Nebenfach, der Ballspiele liebte und viel lachte. Er war schon damals eine herausragende Persönlichkeit, und das Schöne an ihm war, dass alles, was er intellektuell und körperlich tat, von Freude und Optimismus geprägt war.
    Ich erinnere mich nur an einen Augenblick des Zweifels bei ihm, als er von seiner Propädeutikumsprüfung zurückkam und sich wunderte, dass es die ganze Zeit nur um Kunst gegangen war. Wir anderen, die auf ihn gewartet hatten, um zu hören, wie es ihm ergangen war, versicherten ihm, dass das ein äußerst gutes Zeichen war, denn es schien zu bestätigen, was wir alle wussten – dass sein Enthusiasmus ansteckend und er ein vielschichtiger Geist war, kein engstirniger Workaholic, der sich nur für Labore und organische Chemie interessierte.
    Für Dr. R war die Gegenwart voller Freude und die Zukunft voller Hoffnung. Aber er war keineswegs naiv. Er war auch ein nüchterner Realist und verträumter Skeptiker. Sein Vertrauen in die Zukunft wurzelte in dem festen Glauben, dass man seine Hoffnungen realisieren konnte, wenn man sich nur genügend anstrengte.
    Zwölf Jahre nach dem College zögerte Dr. R keine Sekunde, auf den Anruf eines Freundes hin aktiv zu werden, und er half mit, mein Leben zu retten. Er handelte prompt, gelassen und souverän – und mit seiner üblichen, untrüglichen, stets präsenten, treffsicheren Hingabe an die Hoffnung. Ich war nie Dr. Rs Patient, doch ohne ihn als Freund wäre ich heute nicht mehr am Leben.
    B (NEW JERSEY)

3. Kapitel
    Als ich nach New York zog, wohnte ich an der Ecke Bleecker und 11th Street. Später sollte der Block durch drei Marc Jacobs Stores, einen Ralph Lauren Shop und die Magnolia Bakery verschandelt werden (die wir »Bäckerei Studio 54« nennen, weil die Warteschlangen so lang sind und Security-Typen davorstehen, um die Massen zu bändigen). Doch im Jahr 2001 ist das Magnolia noch nicht so voll, besonders am Morgen, wenn ich dort mein tägliches Brötchen frühstücke, eigentlich einen verkappten Kuchen. Der Kaffee im Magnolia ist wie trübe Tränen, aber immerhin lockt er mich aus dem Haus. Nebenan sind das Moondog-Café und ein
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