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Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Titel: Deine Stimme in meinem Kopf - Roman
Autoren: Deuticke
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Esoterikladen. Dann gibt’s da noch ein schlecht ausgeleuchtetes Blumengeschäft, dessen Besitzer immer brüllt: »Ich mache euch einen Strauß, wie Gianni Versace ihn für seine Lieblingsnichte binden würde!« Daneben ist ein Buchladen,
Biography
, wo sie ihren Golden Retriever wie Marlon Brando für Halloween verkleiden (weißes Shirt mit V-Ausschnitt und eine Schachtel Marlboro im Ärmel. Er ruft zwar nicht »Stelllaaaa!« wie in
Endstation Sehnsuch
t, kann aber grässlich laut bellen).
    Bad Boyfriend
isst gern spätabends in dem marokkanischen Restaurant in der Avenue B. Als er bei unserem ersten Date seine Jacke aufhängt, fällt mir auf, dass sie von Helmut Lang ist, und
ihm
fällt auf, dass PRINZESSIN in den Anhänger meiner goldenen Kette eingraviert ist. Aber wie eine Prinzessin fühle ich mich nicht. Oder – besser gesagt – ich fühle mich wie eine pummelige, unbehagliche, eingesperrte Prinzessin. Wie Chelsea Clinton damals im Weißen Haus. Da ich nicht weiß, wer oder was ich bin, trage ich eine Trainingshose, altmodische Nikes und dazu einen sexy, hautengen Gina-Lollobrigida-Pulli. Ich befinde mich irgendwo zwischen Kind und Vamp. Meine braunen Haare sind kurz geschnitten, was mich wie ein Kobold aussehen lässt, mit blonden Strähnchen und orangefarbenen Spitzen. Ich möchte wie Roxy aussehen, die Schildpattkatze, die ich als Kind hatte. Oder wie eine tote Katze. Oder wie eine ältliche Filmschauspielerin, für die sich niemand mehr interessiert und die noch nie sehr beliebt war. Ich wollte herausfinden, wie zum Teufel ich überhaupt aussah. Ich beneidete Frauen mit unverwechselbaren Frisuren, unverwechselbaren Parfüms, profilneurotischen Ticks. Romanschriftsteller, die dem Reporter der
Vogue
erklären: »Ohne mein Smythson-Notebook, Pomegranate Noir Cologne von Jo Malone und Bettwäsche der Luxusmarke Frette kann ich nicht leben.« Wenn man kurz vor dem Wahnsinn steht, kann man Materialismus für ein vortreffliches Glaubenssystem halten.
    Jedenfalls finde ich, dass Bad Boyfriend sein Leben echt im Griff hat. In dem einzigen Liebesbrief, den er mir je geschickt hat, steht:
    Selbst wenn ich alle
PRADA
-Shops auf der Welt kaufen könnte, brächte das nicht annähernd zum Ausdruck, was ich für das Bärchen empfinde, das sich in dieser großen Welt verlaufen hat.
    Aber letztendlich spielt er keine große Rolle, Bad Boyfriend. Seine Nummer liegt nicht in dem Karton mit meinen Souvenirs: Ich habe die Zettel mit den Nummern der Großen Drei aufbewahrt, jeweils am Abend des Kennenlernens geschrieben. Mit jedem von ihnen war ich zusammen, von dem Augenblick an, in dem wir uns trafen. Bad Boyfriend dagegen war das Ergebnis dieser hässlichen, amerikanischen Erfindung – Dating: Liebesaffären als Ableger von Buchführung.
    Bei unserem ersten Date verbrenne ich mir am Couscous die Zunge und spucke in seine Hand. Er kippt vor Schreck fast um. Trotzdem sehen wir uns wieder. Eines Abends gibt er mir Gras, und ich inhaliere zum ersten Mal und werde für die nächsten zwölf Stunden zum Zombie. Ich erinnere mich, wie Bad Boyfriend mir in seiner Wohnung, einem langen Schlauch, von dem links und rechts Türen abgehen – nur durch einen IKEA -Vorhang von seinem Mitbewohner getrennt –, das Oberteil auszieht und mich betrachtet, meine Brüste einfach nur betrachtet, ehe er sie berührt und dann knetet. Danach schleppt er mich aus dem Haus und zwingt mich, etwas zu essen. Ich bekomme gerade mal einen Löffel Suppe hinunter und liege dann auf dem Boden des marokkanischen Lokals und kotze. Eine Menge! Er zieht mich auf die Füße, und ich kotze auf den Teller eines anderen Gasts. Als wir fluchtartig das Lokal verlassen, drückt er mir den esoterischen Prospekt vom Anschlagbrett des Restaurants in die Hand, auf dem steht: »Wenn du einen Engel brauchst.« Wie süß! Ich habe ihn bis heute. Das war eine nette Geste. Böse Menschen tun oft
eine
gute Sache. In meiner Erinnerung war diese Geste so etwas wie Bad Boyfriends Miniatur-Version von Nixon und China.
    Weitere Sachen, die ich aufbewahre: Unmengen von Fotostreifen aus Passbildautomaten.
    Da ich immer mehr das Gefühl habe, nicht in diese Welt zu gehören, bin ich fasziniert, als ich merke, dass sich meine Rippenbögen immer mehr abzeichnen. Es ist mir bewusst, dass ich sterben werde. Von der anderen Küste Amerikas ist mein Gypsy Husband bereits im Anflug, doch davon weiß ich noch nichts.
    Es gibt immer noch viele Gründe, wach zu bleiben, und das sind
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