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Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Titel: Deine Stimme in meinem Kopf - Roman
Autoren: Deuticke
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antwortete er, er könne nichts dafür: »Im Rahmen der neuen Vorschriften zum Schutz der inneren Sicherheit
müssen
die Namen auf den Tickets eine Kombination aus dem Eintrag im Pass und dem äußeren Erscheinungsbild beim Check-in sein.«
    Ich finde, dass sich meine Eltern in ihrer Exzentrizität ganz gut ergänzen – zwei mit ihren Neurosen perfekt zusammenpassende Puzzleteile. Wie gern hätte ich auch so ein Puzzleteil!
    Ich habe eine Schwester, Lisa, drei Jahre jünger als ich. Als sie klein war, hatte sie einen imaginären Freund namens Poofita Kim. Dieser war, wie sie anhand einer Zeichnung erklärte, auf der Flucht, weil er sechs Kinder ertränkt hatte. Die damals fünfjährige Lisa versteckte ihn bei sich. Ungefähr zur selben Zeit verfasste sie einen Brief an Margaret Thatcher.
    Liebe Margaret Thatcher,
    warum bist du immer so gemein? Gemeiner als der Teufel.
    Bitte komm am Samstag um vier Uhr zu uns zum Tee, dann reden wir darüber.
    Bitte komm mit Hut!
    Früher habe ich Cola über Lisas Klavier geschüttet und die Füllung aus ihrer Plüschrobbe geholt, die sie immer mit ins Bett nahm, die hinterher so aussah, als habe man die Luft rausgelassen. Als Kind hielt Lisa meine Sünden gewissenhaft in ihrem Tagebuch fest:
    3. Dezember 1987: Emma hat mich an den Haaren gezogen.
    14. März 1988: Emma hat Cola auf mein Klavier geschüttet.
    1. September 1988: Als Mum nicht herschaute, hat Emma mich ganz böse angestarrt, und hinterher hat sie es gesagt, sie hat mich gar nicht böse angestarrt.
    Sie hat seit zwölf Jahren denselben Freund. Ich nicht.
    Lisa hat mir
Die gelbe Tapete
von Charlotte Perkins Gilman geschenkt und mir ein Bild von Jon Stewart auf meine Slips genäht. Ich liebe sie abgöttisch – aber wehe, Mum setzt einen Fuß in den Raum, dann können wir uns plötzlich nicht mehr ausstehen.
    Meine Großmutter ist neunzig und hat sich kürzlich einen jiddischen Akzent zugelegt, der sich einschleicht, wenn sie müde oder beschwipst ist. Ansonsten klingt sie genau wie Prunella Scales aus der alten BBC -Sitcom
Fawlty Towers
, nur mit sehr viel derberen Sprüchen. Als wir einmal zusammen Wimbledon schauten und ich sagte, Steffi Graf sei ganz hübsch, kreischte meine Großmutter: »Was?!
Die
hässliche Ziege?« Lauren Bacall kann sie auch nicht leiden, warum, weiß kein Mensch.
    Vielleicht weil meine Familie so ist, wie sie ist, hat es eine Weile gedauert, bis ich merkte, dass meine Neurosen inzwischen weit mehr als nur exzentrische Marotten waren – mit zweiundzwanzig wohnte ich in Manhattan, stand beim
Guardian
unter Vertrag und mein erster Roman sollte demnächst erscheinen. Meine Ticks hatten die warmen Gewässer der Schrulligkeit hinter sich gelassen und waren an jene kalten, tiefen Stellen im Meer gelangt, wo sie das eine oder andere Todesopfer forderten. Meine Leute waren in England. Sie wussten nicht, dass ich mit Rasierklingen an mir herumritzte – an Armen, Beinen und am Bauch –, und sie wussten auch nicht, dass ich sechs bis sieben Mal pro Tag Fress- und anschließend Kotzattacken hatte. Obwohl ich wusste, wie sehr sie mich liebten, hatte ich auch in meinen schwärzesten Zeiten Angst davor, es ihnen zu sagen.
    Ich hatte Angst, sie würden mich von New York wegholen, einer Stadt, die so verrückt war, dass sie mir einzelne kurze Momente der Freude verschaffte, für die ich zum Glück immer noch empfänglich war. Einmal, als ich mit meiner Freundin Angela Boatwright über die Avenue B schlenderte, flitzte ein kleiner Junge, ungefähr acht oder neun, auf dem Fahrrad an uns vorbei und rief: »Ich fick euch in den Arsch!« Er sagte es richtig ernst und stolz, wie ein Mann mit Arbeitsethos. Etwas später an diesem Tag pfiff ein Mann hinter mir her, der höflichste Pfiff, den ich je zu hören bekommen hatte. Es war ein Bauarbeiter, der hinter mir herrief: »Hol mich der Teufel, Kleine! Mit dir würd’ ich gern ins Kino gehen!«
    Ich fühlte mich unsagbar einsam. Ich stellte mir vor, ich würde die Einladung des Bauarbeiters annehmen, mit ihm ins Kino gehen und den Kopf auf seine Schulter legen – und er würde schreien: »Pfui! Lass das! Ich hab doch nur gesagt, dass ich mit dir ins Kino will! Von Anfassen war nie die Rede!«
    Ich hatte zwar einen Freund, einen sogenannten
Bad Boyfriend
, doch der hatte viel mit meiner Einsamkeit zu tun. Rückblickend ist es mir ein Rätsel, warum er überhaupt mit mir zusammen war. Er stand total auf meine Brüste und ... tja, das war’s schon, glaub ich. Sie
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