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Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Titel: Deine Stimme in meinem Kopf - Roman
Autoren: Deuticke
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des Propheten Joseph, das Schwert des Propheten David, den Mantel des Propheten Mohammed. Spannend, was dazu in meinem Reiseführer steht:
    Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart sind lediglich verschiedene Aspekte eines großen Ganzen. Wir sind in der Lage, diese Einheit zu genießen, da wir ein Gefühl für die unterschiedliche Intensität der Zeit haben – eine ist für uns von größter Wichtigkeit, die anderen sind untergeordnet und miteinander verknüpft. Es gibt jedoch einige Gegenstände, die wie ein Punkt oder eine gezeichnete Linie sind und die uns mit unseren spirituellen Wurzeln verbinden. Durch die Assoziationen, die sie erwecken, können wir tiefer in die Vergangenheit eintauchen und daraus hoffnungsvolle Erwartungen an die Zukunft hegen, ausgerüstet mit Beharrlichkeit, Durchhaltevermögen und Entschlossenheit, die für die kommenden Zeiten vonnöten sind.
    Ich halte mich stundenlang in der Ausstellung auf, bis ich mich abseits der Besucherscharen plötzlich in einem Nebenraum wiederfinde, der im Reiseführer nicht erwähnt wird. Unter kunstvollen Schriftzeichen, mit Blattgold überzogen, stehen ein Sofa, ein Ventilator und ein kleiner Couchtisch, auf dem alte Ausgaben der
New York Times
liegen.
    Eine Tür geht auf.
    »Em-ma For-rest!«
    »Dr. R?« Aha, hier steckt er! »Darf ich Sie umarmen?«
    Er nickt.
    »Michelle tut das auch gern. Sie wissen schon, Michelle Obama. Die haben Sie verpasst. Aber sie umarmt die Leute gern.«
    »Jetzt haben wir andere Zeiten.«
    »Stimmt.«
    Er führt mich in sein Büro und setzt sich auf seinen Stuhl.
    »Können Sie das Licht da ausmachen?«
    »Klar, natürlich, das hier auch?«
    »Danke.«
    Der Raum ist genau so, wie er es immer war, und man kann die Schulkinder der East 94th Street auf ihren Fahrrädern vorbeisausen hören.
    »Und ...?« Er lächelt. Er zeigt seine Handflächen, was – wie ich weiß – bedeuten soll: »Wo haben Sie Ihren Kopf im Moment?«
    »Ich hatte eine schwere Zeit ohne Sie.«
    Er nickt. »So ein plötzlicher Verlust ist immer schwer zu verkraften. Sie hatten großes Glück bisher. Sie haben noch niemanden verloren. Ihre Reaktion ist also nicht unangemessen. All diese Jahre des Ritzens. Und nun haben Sie einen echten Grund zu leiden. Eine interessante Herausforderung!«
    »Danke!«
    »Ich zweifle nicht daran, dass Sie diesem Schmerz gewachsen sind. Sie sind vollkommen anders als die junge Frau, die damals vor meiner Tür stand.«
    »Glauben Sie, Sie hätten ihm helfen können?«
    Er verlagert sein Gewicht. Er weiß, von wem ich rede. »Ja.«
    Ich lasse den Kopf hängen.
    »Denken Sie, er hat alles ernst gemeint, was er sagte?«
    »Ja. Er hat alles so gemeint, wie er es sagte, zumindest in
dem
Moment. Aber das ist sein Fehler. Und letztlich saß er am längeren Hebel. Zurzeit ist es
eine
Sache, die Sie deprimiert. Davor waren sie wegen allem deprimiert. Folglich geht es Ihnen verhältnismäßig gut, Emma.«
    Ich schaue auf den Boden. Als ich wieder aufblicke, habe ich feuchte Augen.
    »Ich habe Angst davor, mich noch einmal zu verlieben. Ich fürchte, ich habe alles Vertrauen verloren.«
    »Haben Sie
nicht

    »Und die Falltür, an die ich oft denke? Unter der sich echt üble Sachen befinden? Sie hat schon wieder beinahe unter mir nachgegeben.«
    »Sie wissen, was Sie tun müssen, damit sie zu bleibt.«
    Ich schüttle den Kopf. »Ihretwegen hab ich noch mehr Angst, dass meine Mutter sterben könnte. Ich trauere jetzt schon um sie. Ich versuche, mich dagegen zu impfen.«
    »Es nützt nichts, wenn es dann wirklich passiert.«
    Ich scheue mich ein bisschen davor, ihn daran zu erinnern.
    »Als ich das letzte Mal bei Ihnen in der Praxis war, habe ich Ihnen erzählt, dass die Vorstellung, Sie könnten sterben, allmählich zu einer fixen Idee von mir wurde.«
    Er schmunzelt. »In der Psychiatrie geht es eigentlich darum, solche Ängste aufzulösen.« Ich zucke zusammen, doch er fährt fort: »Wir wollen nicht, dass Sie ewig hierbleiben müssen. Ich möchte, dass Sie hier herauskommen. Ich will, dass wir zusammen herausfinden, wie Sie Ihren Kummer zulassen, um darüber hinwegkommen zu können.«
    Ich würde gern etwas Nettes sagen, damit er weiß, dass sein Vertrauen in mich gerechtfertigt ist.
    »Ich bin froh, dass ich nach Istanbul gekommen bin. Im Ernst. Aber obwohl ich froh darüber bin, glaube ich immer noch, dass man sich selbst nicht durch Reisen, sondern nur über die Seelen anderer Menschen finden kann.«
    »Dann sind Sie immer noch die Frau,
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